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Widerstandsnester in Linz


von Rosi Kröll /// Rosi Kröll ist losgezogen, um die Widerstandsnester in Linz auszumachen. Da stellt sich natürlich gleich zu Beginn die Frage, was Widerstand eigentlich ist, und wie wir ihn erkennen. Auch hier gibt Rosi eine kleine Einführung. Für jene, die es lieber einfach haben, greift sie zum beliebten Sternchensystem. Je mehr Sternchen die einzelnen Projekte haben, desto höher ist ihr Widerstandspotential. Da kann man natürlich geteilter Meinung sein. Parteien – obwohl manchmal durchaus widerständig – wurden bewusst nicht in den Widerstands-Kanon aufgenommen.

Widerstand heißt, ganz allgemein gesprochen, in einer öffentlichen Ordnung quer/queer zu sprechen und zu handeln. Oder: bestimmten Mustern von Ordnung zu widersprechen, zuwiderzuhandeln. Quer/Queer-Denken ist zwar ein wesentlicher Bestandteil politischer Widerstands-Organisation, zeigt sich aber erst im Gesprochenen und Gehörten oder Verhandelten und Gesehenen als WAHR-genommen.

Die Schwierigkeit ist, dass – um mit Judith Butler zu sprechen – die Sphäre der Öffentlichkeit teilweise von dem VORgezeichnet wird, was sich (nicht) sagen lässt und was (nicht) gezeigt werden kann. (Judith Butler, Gefärdetes Leben. Politische Essays, Suhrkamp 2005, S. 13ff.) Und die Grenzen des Sagbaren und die Grenzen dessen, was erscheinen kann, schränken den Bereich ein, in dem politisches Sprechen und Handeln wirksam wird. Kritik, Widerstand, Gegenrede kann noch so laut sein – wenn sie nicht gehört wird, ist sie wirkungslos. Es gibt daher einen sehr begrenzten Bereich, in dem Widerstand gelebt werden kann. 
Hier spielen jede Art von Systemen und Beziehungen, in denen sich Individuen befinden, eine wesentliche Rolle als zuhörende, zustimmende und handelnde Knotenpunkte von Macht.
Antoni Gramsci formulierte folgendes: „Daher kann man sagen, dass jeder in dem Maße selbst anders wird, sich verändert, in dem er die Gesamtheit der Verhältnisse, deren Verknüpfungszentrum er ist, verändert, wobei unter Umwelt das Ensemble der Verhältnisse zu verstehen ist, die jeder einzelne eingeht.“ (Antonio Gramsci, Philosophie der Praxis. Gefängnishefte 10 u. 11, Hamburg 1995.) 

Folgt man hier Gramsci, so liegt es auch in der Macht der Individuen, die Verhältnisse zu verändern, indem sie ihre eigenen Verknüpfungen, ihre Eingebundenheit in die sie umgebende Gesellschaft verändern und somit sich selbst. Linz weist eine ganze Menge an „Verknüpfungsorten“ auf, an die Einzelne oder Gruppen andocken können. Hier eine kleine Auswahl.
Autonomes Frauenzentrum – aFZ ✭✭✭✭✭
Eine der Hausbesetzungen in den 80ern führte zum ersten Autonomen Frauenzentrum in Linz. Trotz Institutionalisierung – das aFZ ist eine offizielle Familien-Beratungsstelle – kann hier von einem Ort mit Widerstandspotential gesprochen werden. 
Die Arbeit soll die Position von Frauen* stärken. Da sind wir auch schon im Kritikfeld. Einerseits bestätigen zahlreiche Statistiken die Benachteiligung von Frauen, andererseits erzeugt das Wiederholen eines „Opferstatus“ diesen. Nichtsdestotrotz auch hier zumindest 5 Sterne, weil die Arbeit an patriarchalen Mustern ungleich schwieriger ist, da sie nur zu leicht individualisiert wird. 
// www.frauenzentrum.at
Autonomes Zentrum – AZ ✭✭✭✭✭
Hier ist der Anspruch hoch gesetzt: „Ein offener Raum, der einen autonomen, subversiven, antihierarchischen Anspruch hat und auch versucht, diesem konsequent gerecht zu werden.“ Mitmachen können alle und die Treffen sind öffentlich ausgeschrieben. Auch gespielt darf werden. Widerstandspotential mit selbstkritischer Beteiligung. 
// www.az-linz.servus.at
 
dorf.tv ✭✭✭ 
„Du machst Fernsehen“ wirbt der Slogan und suggeriert einfache Zugänglichkeit. Mitmachen am Programm ist vor allem für „neue Medien“-affine und -besitzende Menschen einfach. Das Potential ist vorhanden, gesellschaftliche Verhandlungszonen klar an- und auszusprechen. Doch auch hier besteht die „Gefahr“, als Community-Medium „mehrheitsfähig“ zu agieren. 
// www.dorftv.at
FIFTITU% ✭✭✭✭
Laut Homepage ein feministisches Forum für Künster_innen und Kulturarbeiter_innen. Bezieht sich durchwegs auf die Kategorie Frau* als politisches Argument. Da gilt dasselbe wie für das aFZ. Frauen* werden demnach eingeladen bei Projekten mitzuarbeiten. Es gibt kein offenes Plenum – Vorstandssitzung heißt die kollektive Entscheidungsstruktur, Termine müssen erfragt werden. 
// www.fiftitu.at

HOSI Linz ✭✭✭ 
Die Interessenvertretung für Lesben und Schwule in Oberösterreich. Wenn die HOSI sich z.B. für ein Eherecht für homosexuelle Paare einsetzt und damit eine gesellschaftliche Ordnung unhinterfragt lässt, kann trotzdem argumentiert werden, hiermit dem Normativen entgegenzuarbeiten. Ein wenig mehr Progressivität täte ganz gut. Mithilfe ist immer gefragt. 
// www.hosilinz.at
Jugendkultur, Beispiel ann&pat ✭✭✭✭  
Jugend- und Kulturvereine, „die Potentiale in den Mittelpunkt stellen, […] unabhängig davon, ob der Betreffende sozial auffällig ist oder nicht. Es kommt zurück, in Form von Selbstbewusstsein, Selbstständigkeit, sozialer Kompetenz, Offenheit, […]“ Wo ist das Gendern? Hallo, 21. Jahrhundert. Es gibt Öffnungszeiten ohne 
Konsumzwang, HipHop-Meetings, Proberäume & Siebdruckerei. Und die Dinosaurier-Wandtapete (ann&pat) sollte frau sich nicht entgehen lassen! 
// www.ann-and-pat.at
KAPU ✭✭✭✭   
Die KAPU kokettiert wie auch das AZ mit dem „offenen Plenum“. Die KAPU ist immer schwer identifiziert darüber, was an Musik darin stattfindet; mitmachen und selbermachen kann jedeR, heißt es da. Hierarchien und heteronormative gesellschaftliche Strukturen – sind immer kompliziert und daher oft unbesprochen. Als Widerstandsnest DIY! 
// www.kapu.or.at
maiz 
✭✭✭✭✭✭✭✭✭✭✭
Transnationale (KünstlerInnen) – Mobilität ist en vogue. Gleichzeitig sind globale Grenzregime stabiler denn je. StaatsbürgerInnenschaft oder die Zugehörigkeit zu regionalen Binnenreiseräumen wie Schengen sind ausschlaggebend dafür, wer mit welchem juristischen Titel wohin (und mit welchem Verkehrsmittel) darf. In Kombination mit arbeitsrechtlichen Reglementierungen (die analog den Reisebestimmungen Bezahlung zulassen oder nicht) laufen diese Restriktionen jeder Form von gleichberechtigtem Austausch zuwider; das Autonome Zentrum von und für Migrantinnen übt provokativ Widerstand. Mitmachen und Mitbestimmen für Migrantinnen! 
Weiße MehrheitsösterreicherInnen sind zu Kooperationen und strategischen Allianzen eingeladen. 
// www.maiz.at
Pangea ✭✭✭✭
„Treffpunkt für MigrantInnen, Asylsuchende und ÖsterreicherInnen, KünstlerInnen und alle, die Lust haben vorbeizuschauen.“ Freie Internetplätze inklusive kritischer Außeinandersetzung mit demselben, Deutschkurse sowie Anstiftung zur Initiative wird geleistet. 
// www.pangea.at

Radio FRO ✭✭✭✭  
Das Pendant zu dorf.tv, ist aber schon ein bisschen älter. Auch hier ist das Mitmachen ganz einfach: „Dein Entwicklungsraum für persönliche Experimente und neue Kommunikationsformen“. Als Community-Medium mit eigener Redaktion gilt ähnliches wie für dorf.tv. 
// www. fro.at
Servus.at ✭✭✭
Backbone, New Media Art, Open Source Code, Funkfeuer,… Was ist das Netz und was kann ich damit tun? An der Schnittstelle von Servicestruktur und Einmischung propagiert servus.at offene Zugänge für alle.
 // www.servus.at
Stadtwerkstatt ✭✭✭
Die Gründungsphase ist mit der des aFZ gemein. Hier passiert Programm und Produktion als performativer Akt, sich anstiften zu lassen. „Um diesen Transformationsprozess zu gestalten, handelt die Stadtwerkstatt im Spannungsfeld von Struktur, Entwicklung, Kunst, Vermittlung.“ Mitmachen? Kein offenes Plenum? Aber willkommen? 
// www.stwst.at
Treibsand (Infoladen) ✭✭✭✭✭
Anarchistisches Aktionsforum mit offenen Treffen. Angesiedelt im AZ ist das Kollektiv basisdemokratisch und selbstorganisiert. Ziel: Eine Gesellschaftsordnung frei von ineinandergreifenden Herr*inschafts- und Unterdrückungsverhältnissen bzw. eine, die diese immer wieder reflektierend abzubauen oder ganz zu vermeiden sucht. Information als erster Anhaltspunkt.
// www.treibsand.servus.at
Es gibt in der Stadt noch viel mehr Initaitiven mit mehr oder weniger Widerstandspotential (wie junQ, qujOchÖ, Salon Wiesengrund, Nomadenetappe, Red Sapata, IG Demokratie, DevLoL, Kunstraum Goethestrasse, SpaceFEMfm), die hier unbeschrieben bleiben. Auch politische Parteien verfolgen durchaus widerständige Konzepte (wie die KPÖ oder die Grünen Interkulturell zum Beispiel). Macht euch selbst ein Bild – ohne Veränderung keine Veränderung!
Roswitha Kröll lebt in Linz und genießt die umtriebige Szene. Sie arbeitet u.a. für FIFTITU% und sporadisch auch für Radio FRO 105.0.

Zuletzt geändert am 04.03.13, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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