Kultur ist ein sehr politischer Begriff
Der Sprecher der Forschungsplattform CEnT (Cultural Encounters and Transfers), Christoph Ulf, erzählt im Interview über die Zielsetzungen der Plattform, die Verbindung von Wissenschaft mit anderen gesellschaftlichen Bereichen und weshalb der Begriff Kultur immer noch brauchbar ist.
2009 haben sich einige Forschungszentren aus dem Feld der kulturwissenschaftlichen Forschung an der Universität Innsbruck zur Forschungsplattform CEnT zusammengeschlossen. Seither schlossen sich der Plattform weitere ForscherInnen der philosophisch-historischen und der philologisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät an. CEnT zählt derzeit mehr als 80 mitarbeitende WissenschaftlerInnen.
FRO: Welche Überlegungen haben zur Gründung von CEnT geführt und welche Klammern halten die über 80 ForscherInnen von CEnT zusammen?
ULF: Wir haben erkannt, dass wir in den verschiedenen Fakultäten schon länger über den selben Themen sitzen und auch ähnliche methodische Ansätze verfolgen, ohne uns darüber entsprechend auszutauschen. Zu dieser Erkenntnis kam der äußere Druck, dass von Universitäten immer stärker verlangt wird, intern Synergien zu nutzen und sich nach außen ein klares Profil zu erarbeiten. Das hat einen positiven Druck zur Kooperation erzeugt. Das Themenfeld der Kultur und des kulturellen Austausches hat sich für Kooperationen angeboten, weil dazu bereits sehr intensiv gearbeitet wurde. Mittlerweile hat sich CEnT auch über die Geisteswissenschaften hinaus entwickelt und auch die Methoden der einzelnen Fachbereiche nähern sich an. Ein besonderes Anliegen ist uns die Anwendungsorientierung unserer Forschung. Etwa die Vermittlung unserer Ergebnisse an Personen im außeruniversitären Bereich. Daher auch unsere Zusammenarbeit mit Radio FRO.
Natürlich muss man Kultur immer in Zusammenhang
mit anderen politischen Feldern,
nicht zuletzt auch der Ökonomie, sehen.
FRO: CEnT strebt danach, zu einem Schwerpunkt der Universität Innsbruck zu werden. Mit diesem Schritt, so heißt es auf ihrer Homepage, würde auch das Potential der Geistes- und Kulturwissenschaften auf aktuelle Fragen unserer Gesellschaft Antworten geben zu können, anerkannt. Das klingt, als fühlten sich die Geistes- und Kulturwissenschaften an die Wand gedrängt. Wer ist in Ihrer Wahrnehmung im Besitz der Definitionsmacht bzw. hat den Geistes- und Kulturwissenschaften den Rang abgelaufen, die Welt erklären zu können?
ULF: Wenn man sich Zukunftsentwürfe für die Wissenschaft ansieht, die einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahre in den Blick nehmen, so sieht man, dass die Geisteswissenschaften vielfach verschwunden sind, oder nur noch als Zulieferer von Wissen, etwa über Kulturen und Religionen, gesehen werden. Man scheint zu glauben, dass die Deutungsmacht über unser Leben von den Geisteswissenschaften weg geht. Wir halten das für keine zutreffende Zukunftsprognose. Im Gegenteil: Die Geisteswissenschaften sind ‚life sciences’. Daher meinen wir, dass zumindest einer der fünf Schwerpunkte der Universität Innsbruck ein geisteswissenschaftlicher sein soll. Wenn man sich bei Universitäten umblickt, bei denen eine solche Schwerpunktsetzung bereits durchgeführt wurde, so wird man erkennen, dass es kaum Schwerpunkte gibt, die von den Geisteswissenschaften betrieben werden. Hier kann Innsbruck eine Vorreiterrolle einnehmen.
FRO: Nationale Regierungen verlieren immer mehr an Gestaltungskraft, weil grundlegende Entscheidungen verstärkt in supranationalen Institutionen oder überhaupt außerhalb traditioneller Politikbereiche getroffen werden. Vielerorts „stürzt“ sich nun die Politik auf weiche Themen wie Kultur oder Migration, um den eigenen Machtverlust zu verschleiern oder sich Profil zu verschaffen. Steht zu befürchten, dass CEnT an diesem Schleier mitwebt?
ULF: Die von Ihnen beschriebene Gefahr würde bestehen, wenn die Wissenschaft den PolitikerInnen signalisieren würde, sie sollten sich darauf beschränken. Ich sehe aber auch einige PolitikerInnen, die begreifen, dass Kultur ein sehr politischer Begriff ist. In der Spannung zwischen nationalstaatlichem Denken und Globalisierung ist der Begriff Kultur mit Identität und Identitätsvorstellungen verbunden. Und diese Frage der Identität ist eine sehr politische. Nehmen Sie etwa den von der UNO verwendeten Begriff des nation buildings, das ist etwas, das ohne die Vorstellung von Kultur und kulturellen Mustern nicht funktionieren würde. Wenn man Kultur nun aus dem Feld der Politik hinausschöbe, würde man meines Erachtens einen großen Fehler machen. Natürlich muss man Kultur immer in Zusammenhang mit anderen politischen Feldern, nicht zuletzt aber auch der Ökonomie, sehen.
Man kann die von Ihnen angesprochenen Gefahren nicht ausschließen, aber man kann sie reduzieren. Daher auch unsere starke Anwendungsorientierung bei CEnT. Wir wollen keine Opposition zwischen den Geisteswissenschaften und der realen Welt konstruieren, sondern klar machen, dass unsere Themen Teil der realen Welt sind. Unsere Ergebnisse können angewandt werden, haben praktische Auswirkungen. Daher wollen wir uns auch der Wirtschaft gegenüber nicht verschließen, sondern bewusst auch ihr unsere Kompetenzen anbieten.
FRO: Bereits 1975 hat Theodor W. Adorno festgestellt, dass das vornehme Wort „Kultur“ an die Stelle des verpönten Ausdrucks „Rasse“ tritt. Beide würden aber nur einem brutalen Herrschaftsanspruch dienen. Ist für Sie der Begriff Kultur noch brauchbar? Kann man mit „Kultur“ noch etwas beschreiben?
ULF: Es ist sehr schwer, Begriffe die eingeführt sind, einfach abzuschaffen. Zudem ist es fraglich, ob man überhaupt geeignetere findet. Es ist in unseren Augen sinnvoller sich mit dem Begriff selbst zu beschäftigen, mit seiner Geschichte, Funktionen und natürlich auch Instrumentalisierungen. Hier kann man natürlich bei Adorno und der Frankfurter Schule ansetzen. Das von Ihnen angesprochene Zitat von Adorno meinte zu seiner Zeit aber vor allem den Umstand, dass in Neuauflagen von Artikeln und Büchern, die vor 1945 den Begriff Volk oder Rasse verwendeten, diese Begriffe nach 1945 einfach durch Kultur ersetzt wurden.
Aber wir möchten auf den Begriff Kultur auch nicht verzichten, da wir beobachten, dass sich Menschen einer Kultur zugehörig fühlen. Das interessiert uns. Warum fühlen sich Menschen einer Kultur zugehörig? Weshalb braucht man das? Wie verändern sich solche Vorstellungen und wie wird dieses Identitätsbedürfnis von Dritten, auch von der Politik, instrumentalisiert? Wir verwenden dabei immer den Begriff der Kultur, wollen ihn aber durchschaubar machen.
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Christoph Ulf ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Innsbruck und Sprecher der Forschungsplattform “Cultural Encounters and Transfers (CEnT)”.
Er beschäftigt sich mit Fragen der Ethnisierung, des Kulturkontakts und Kulturtransfers. Er untersucht die Anwendung anthropologischer und sozialpsychologischer Konzepte zur Erklärung von historischem Denken und Handeln.
Zuletzt geändert am 25.01.12, 00:00 Uhr
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