#41: Das Maricá-Projekt (Brasilien)

Das Maricá projekt  https://www.maricabasicincome.com/ Maricá ist eine brasilianische Stadt im Bundesstaat Rio de Janeiro in der seit 2013 ein umfassendes Pilotprojekt für ein garantiertes Grundeinkommen durchgeführt wird. Dieses Einkommensprogramm namens Renda Básica de Cidadania (Bürgergrundeinkommen oder „RBC“) umfasst mittlerweile 93.000 Einwohner:innen, das entspricht fast der Hälfte der Bevölkerung Maricás (ges. 197.000). Um das Geld zu […]

Das Maricá projekt 

https://www.maricabasicincome.com/

Maricá ist eine brasilianische Stadt im Bundesstaat Rio de Janeiro in der seit 2013 ein umfassendes Pilotprojekt für ein garantiertes Grundeinkommen durchgeführt wird. Dieses Einkommensprogramm namens Renda Básica de Cidadania (Bürgergrundeinkommen oder „RBC“) umfasst mittlerweile 93.000 Einwohner:innen, das entspricht fast der Hälfte der Bevölkerung Maricás (ges. 197.000).

Um das Geld zu erhalten, muss man seit mindestens drei Jahren in Maricá gemeldet, im Bundesregister für Sozialprogramme (Cadastro Único) eingetragen sein und ein Familieneinkommen von weniger als drei Mindestlöhnen haben. Umgerechnet fast 40 US-Dollar pro Person gibt es pro Monat. Das Einkommen wurde von ursprünglich 57 USD pro Person auf nun 84 USD angehoben, während der Pandemie wurde die Leistung sogar auf 127 USD festgesetzt. Die jetzige Auszahlungshöhe entspricht derzeit mehr als 105% der individuellen Armutsgrenze.

Das RBC wird im Mumnbuca, der lokalen digitalen Währung von Maricá, ausgezahlt, sein Wert enspricht 1:1 der brasilianischen Landeswährung Reais (Real). Die Währung wird ausschließlich und fast überall in Maricá akzeptiert. Die 2 Prozent Gebühren, die Unternehmen für die Akzeptanz der Mumbuca und damit für den Zugang zu ihrer großen Zahl von Nutznießern zahlen, gehen direkt an die Banco Mumbuca, wo sie zur Finanzierung zinsloser Darlehen für lokale Unternehmer und Hausbesitzer verwendet werden. Der Effekt dieser digitalen Währung ist im Folgenden nicht nur ein Mittel zur finanziellen Eingliederung, sondern auch ein Mittel, um Maricá von einer Schlafstadt in einen florierenden Markt für Waren, Arbeitsplätze und Freizeit zu verwandeln.

Begleitet wird dieses regionalpolitische Projekt, das zum Großteil aus Einkünften der Ölindustrie finanziert wird, vom Jain Family Institute, N.Y., einer NGO für angewandte Forschung, die 2014 von Bobby Jain gegründet wurde. Die Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Instrumente und Rahmenbedingungen des Finanzwesens auf Fragen von globalem politischen Interesse anzuwenden.
Des weiteren forscht Universidade Federal Fluminense (UFF), eine öffentliche Hochschule mit Sitz in Niterói, Rio de Janeiro.

Im Mittelpunkt der Studie steht ein Dreiecksdesign mit gemischten Methoden, das Empfänger:innen, Nicht-Empfänger:innen und führende Persönlichkeiten der Gemeinschaft einbezieht.

Die drei Hauptkomponenten sind:

1 Persönliche quantitative Erhebungen bei mehreren Tausend Einwohnern zur Untersuchung der Auswirkungen auf Konsum, Zugang zu Krediten, Arbeit, Einkommen, physisches und psychisches Wohlbefinden, Wohlbefinden von Kindern und Beziehungsdynamik. Diese Umfragen wurden zwischen September 2021 und April 2022 durchgeführt.

2 Halbstrukturierte qualitative Interviews mit lokalen Geschäftsinhabern, Entscheidungsträgern, Politikern und anderen Schlüsselfiguren, die per Videokonferenz durchgeführt werden.

3 Strukturierte qualitative Interviews mit 48 Begünstigten und 24 Nicht-Begünstigten, die aus den Befragten der Umfrage ausgewählt werden, um die in der quantitativen Umfrage behandelten Fragen weiter zu untersuchen und gleichzeitig zusätzliche Fragen aus dem Bereich der Sozialwissenschaften zu erforschen. Dazu gehören Klientelismus, Korruption und Rechte, finanzielle Eingliederung und Teilnahme am formellen Bankensektor, wirtschaftliche Solidarität und soziale Währungen, Stigmatisierung, Würde und politische Handlungsfähigkeit sowie Familien- und Geschlechterdynamik.

Darüber hinaus wird der Umlauf der Mumbuca-Währung untersucht und es wird die Berichterstattung über das Programm Renda Básica de Cidadania in den traditionellen und sozialen Medien beobachtet.

Man kann nun anmerken, dass die Auszahlung von Grundeinkommen an die Bürger und Bürgerinnen von Maricá kein „echtes“ BGE im Sinne der bekannten vier Kriterien ist.

  • Ist es universell? – Nein, da es nicht an alle Bürger:innen von Maricá ausgezahlt wird
  • Ist es individuell? – Ja, seit 2019 wird es nicht mehr an Familien, sondern an die Bezieher:innen persönlich ausbezahlt.
  • Ist es hoch genug? – Ja, die Summe liegt über der Armutsgrenze.
  • Ist es bedingungslos? – Jein, denn die Menschen müssen dafür im Bundesregister für Sozialprogramme (Cadastro Único) eingetragen sein. Ob das Krierium von einem Familieneinkommen von weniger als drei Mindestlöhnen noch aufrecht ist, konnte nicht festgestellt werden.

Nun kommt in letzter Zeit oft auch noch ein anderes Kriterium ins Spiel: ein BGE sollte in bar ausgezahlt werden. Nun ist der Mumbuca eine digitale Währung, die man allerdings zum gleichen Wert in Bargeld umtauschen kann. Würde das Grundeinkommen in bar ausgezahlt werden, so fiele ein wichtiges Instrument weg, mit dem die Erforschung von Auswirkungen eines Grundeinkommens auf die regionale Wirtschaft nicht möglich wäre. Und genau das ist ja oft ein Hemmschuh für Politiker:innen, da die Angst besteht, dass sich das BGE negativ auf Konsum, Arbeitsmarkt und Steuereinnahmen auswirken würde.

Das Projekt von Maricá ist also sehr umfassend aufgebaut und reicht weit über übliche Experimente bezüglich Grundeinkommen hinaus. Die Resultate bereits durchgeführter Studien ergaben wichtige Erkenntnisse zu Armutsbekämpfung, zur Verbesserung von sozialen Sicherheitsnetzen, zur Verringerung wirtschaftlicher Ungleichheit und zur Linderung von Arbeitsplatzunsicherheit. Auch gibt es beruhigende Ergebnisse, dass Menschen sich nicht aus der Erwerbsarbeit zurückziehen, die Bildungsergebnisse verbessert wurden und die physische und psychische Gesundheit der Bezieher:innen signifikant verbessert wurde, Gewalt in der Familie und Verbrechensraten insgesamt zurückgegangen sind. Aber es gibt noch viele offene Fragen, die vielleicht durch das Grundeinkommensprogramm von Maricá beantwortet werden können:

Zitiat: „Es ist jedoch wenig darüber bekannt, wie sich ein dauerhaftes, von der Regierung eingeführtes Programm mit garantiertem Einkommen und so bedeutenden Leistungen wie in Maricá auf die Wohlfahrtsergebnisse auswirkt. Da sich die meisten Studien eher auf Pilotprojekte oder Versuche als auf dauerhafte Maßnahmen konzentrierten, war es schwierig, die makroökonomischen Auswirkungen zu messen oder Veränderungen in den sozioökonomischen Verläufen der Empfängerhaushalte zu verstehen.

Unsere Studie über das RBC-Programm von Maricá füllt diese Lücken. Durch die Untersuchung einer tatsächlich existierenden Politik, die hohe und dauerhafte Zahlungen bei teilweiser Sättigung bietet, sind wir in einer guten Position, um allgemeine Gleichgewichtseffekte auf der Ebene der lokalen Wirtschaft zu untersuchen. Unsere Fähigkeit, diese Effekte zu messen, wird durch die Entscheidung von Maricá, die RBC-Leistungen in Mumbucas auszuzahlen, einer lokalen Währung, die eins zu eins durch Reais gedeckt ist und nur in der Stadt selbst ausgegeben werden kann, noch verstärkt. Die Interdisziplinarität unserer Studie mit gemischten Methoden verstärkt zudem ihr Erklärungspotenzial und ermöglicht es uns, zu wichtigen laufenden Debatten in den Sozialwissenschaften beizutragen.“

Wenn Du jetzt neugierig geworden bist und Dich noch mehr mit dem Programm auseinandersetzen willst, dann studiere die Website www.maricabasicincome.com  .

Zuletzt geändert am 24.10.24, 18:46 Uhr

Verfasst von Paul Ettl

Geboren 1955 in Aschach an der Donau
Studium in Linz und Salzburg (Mathematik, Philosophie, Politikwissenschaft)

Seit 1971: Programmierung (seit Mai 1983 Selbstständig)
Geschäftsführer der Firmen Ettl-Software GmbH (11 Mitarbeiter, 4 Standorte) und TOPNIC GmbH

Div. Funktionen in der WKO (Bezirksstellenausschuss, Fachgruppe, Fachverband)
Mitglied der Arge ProEthik (der WKO) und Landessprecher OÖ der CSR-Consultants Experts Group der WKO

Firmenverkauf Ende 2013
2010: Initiator und Leiter der Friedensakademie Linz
Seit Jänner 2011 als „Pionier“ im Projekt Gemeinwohl-Ökonomie tätigJuni 2011: Mitbegründer des Vereins zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie
Oktober 2011: Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz für „Ettl-Software“
2019: Gründer und Obmann des Vereins "Das Grundeinkommen"

seit Juli 2020 in Pension
Verheiratet, 1 Tochter, 2 Enkelsöhne

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