Was tun, wenn der Wind dreht?
von Andi Wahl //
Überlegungen zur aktuellen Lage der Freien Radios
Ende Oktober des vergangenen Jahres traf sich das Kartell, ein loser Zusammenschluss der freien Linzer Kunst- und Kulturszene, zu einer Besprechung. Unter dem Eindruck der schwarz-blauen und rot-blauen de facto-Koalitionen auf Landes- bzw. Stadtebene sollte beraten werden, ob Handlungsbedarf bestünde, und wenn ja, was zu tun sei. Immerhin bezeichnete der Verfassungsjurist und ÖVP-Politiker Andreas Khol die FPÖ vor Jahren als außerhalb der Verfassungsbogens stehend. Er hat sie später, als es galt, eine schwarz-blaue Bundesregierung zu installieren, wieder in diesen Bogen zurückgeholt. Aber nicht, weil sich diese Partei wesentlich geändert hätte, sondern weil die Wahrheit eine Tochter der Zeit sei
Bei dieser Kartellbesprechung wurde überlegt, eine Kampagne zu starten, in deren Verlauf man fordern wollte, dass die Einrichtungen der Freien Szene in Linz bleiben müssten.
Also „Theater Phönix muss bleiben“, „Luftraum muss bleiben“, „KAPU muss bleiben“ usw. Offenbar wurde dieses Vorhaben wieder fallen gelassen, aber es weist meines Erachtens auf ein grundlegendes Problem freier Kulturarbeit in Oberösterreich hin:
Die starke finanzielle Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln, die über die Politik vergeben werden.
Ein Problem, und nur deshalb schreibe ich darüber, das freie Kulturinitiativen mit Freien Radios und freien Fernsehprojekten gemeinsam haben. Diese finanzielle Abhängigkeit schafft eine Politiknähe, die die Betreiber*innen kritischer Initiativen immer gleich um die eigene Existenz fürchten lässt, wenn sich der politische Wind dreht, oder sich auch nur Regierungszusammensetzungen ändern. Dabei, und das ist den Kolleg*innen im Kartell wohl auch bewusst, birgt der größer gewordene Einfluss einer Partei, die außerhalb von Österreich klar dem rechtspopulistischen bis rechtsextremen Lager zugerechnet wird, weitaus größere Gefahren als das Verschwinden einiger Kulturinitiativen oder Freier Radios.
Was also tun mit dem Dilemma,
… dass die Zivilgesellschaft von Freien Radios fordert, sich in Zeiten verschärfter politischer Auseinandersetzungen mit besonderem Engagement in diese einzubringen, diese aber gleichzeitig um ihr finanzielles Überleben fürchten müssen, wenn sie dieser berechtigten Forderung nachkommen? Zuallererst gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und sich nicht in die Hose zu machen. Die Abhängigkeit von der (aktuellen) Politik ist ein Baufehler Freier Radios, das ist klar. Die üble Nachricht lautet, dass wir diesen so schnell auch nicht wegbekommen. Freie Radios haben (noch) keine Strukturen, die es erlauben, sich nur durch Ehrenamtlichkeit, eigenwirtschaftliche Tätigkeit und freiwillige Beiträge der Hörer*innenschaft am Laufen zu halten. Die gute Nachricht lautet aber, dass das Schlimmste, was den Radios passieren kann, ist, dass sie solche Strukturen entwickeln müssen – und dass es soweit ja noch gar nicht ist!
Und ich habe noch eine gute Nachricht!
Es ist zwar so, und vor allem die Flüchtlingsdebatte zeigt das jeden Tag aufs Neue, dass sich die aktuelle Politik durch besondere Wertelosigkeit und Inkompetenz auszeichnet, das zerstört aber nicht die demokratischen Fundamente des Staates. Natürlich haben wir eine Bundesregierung, die, wie etwa der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch in einem Standard-Interview (20.1.16) anmerkte, seit zwei Jahren wusste, dass „diese Flüchtlingswelle auf uns zurollt“. Und ja, diese Bundesregierung hat nicht die geringsten Vorbereitungen dafür getroffen. Mehr noch, sie hat dazu beigetragen, dass diese Fluchtbewegungen entstehen. So reduzierte Österreich 2014 seine Zahlungen an das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen von 4,4 Millionen auf 1,35 Millionen Euro. Gelder, die dazu dienen sollten, Flüchtlingen in der Nähe ihrer Heimatländer zu versorgen. Da diese Versorgung nicht mehr gegeben war, machten sich viele auf den Weg (News, 38/2015). Und wir haben Politiker*innen in Amt und Würde, die, ohne mit der Wimper zu zucken, Werte aufgeben, die sie angeblich gegen Migrant*innen verteidigen müssen. Ja, wir haben einen Salzburger Landeshauptmann und Vorsitzenden der Landeshauptleutekonferenz, der das Grundrecht auf Asyl als „ein theoretisches Gedankenspiel“ bezeichnet! Das ist abstoßend, widerspricht den westlichen Werten der Rechtsstaatlichkeit und ist eine Missachtung der Flüchtlingskonvention, der Österreich 1954 beigetreten ist. Aber es macht das Land nicht kaputt. Oder zumindest noch nicht.
Freie Radios werden zu einem Gutteil aus öffentlichen Mitteln finanziert. Sie sind also durchaus als vorgelagerte staatliche Einrichtungen zu betrachten – und nicht etwa, wie manche Romantiker*innen vielleicht träumen möchten, als Widerstandsnester. Staatlich subventionierter Widerstand wäre wohl auch etwas sehr Fragwürdiges.
Freie Radios arbeiten für den Staat
Aber – und das ist der entscheidende Punkt – Freie Radios arbeiten nicht für die Politik, sondern für den Staat in seiner auf die Verfassung bezogenen demokratischen Verfasstheit. Und wenn sich, und meines Erachtens sind wir jetzt in einer solchen Situation, die Politik gegen die rechtsstaatlichen und demokratischen Grundlagen des Staates wendet, diese auszuhebeln versucht oder missachtet, dann werden sie alles aufbieten, um das anzuprangern und zu verhindern.
Aber nicht weil sie sich im Widerstand befinden, sondern weil das ihr Job ist, für den sie auch bezahlt werden. Aus staatlichen Mitteln bezahlt werden.
Freie Radios sind mit ihrem Konzept des offenen Zugangs ein Teil der politischen Bildung und der politischen Praxis des Landes. Daher kann man sich von ihnen auch erwarten, dass sie sich zu diesen Themen zu Wort melden. Und zwar nicht als eine Fleißaufgabe, die sie dankenswerter Weise auch noch erledigen, sondern als Teil ihrer Kernaufgaben. Aus diesem Selbstverständnis heraus müssen sie arbeiten. Das schützt Freie Radios natürlich nicht vor drohendem Finanzierungsentzug. Es schärft aber ihren Blick, wenn es darum geht, wie auf die geänderte Situation reagiert werden soll. Inwieweit das, um nochmals auf den Anfang dieses Artikels zu kommen, auch für Kunst und die Freie Kulturarbeit gilt, getraue ich mir nicht einzuschätzen.
Andi Wahl ist Bauarbeiter, Historiker und seit 2010 Geschäftsführer von Radio FRO.
Zuletzt geändert am 23.03.16, 00:00 Uhr
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