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Seht euch um!

In Frankreich macht derzeit ein kleines Bücherl Furore. Geschrieben wurde das gerade einmal 32 Seiten dicke Werk von einem 93 Jahre alten Mann. Gut, der Verfasser Stéphane Hessel ist in Frankreich (und darüber hinaus) eine anerkannte Autorität. Der in Berlin geborene und dort zur Schule gegangene Sohn eines jüdischen Schriftstellers zählte zu den ersten Kämpfern der französischen Résistance, wurde von der Gestapo verhaftet, gefoltert und im KZ Buchenwald interniert. Nach Ende des Krieges wurde Hessel UNO-Diplomat und war maßgeblich an der Erarbeitung der Menschenrechtserklärung von 1948 beteiligt.

Das alleine mag aber wohl nicht erklären, dass dieses kleine Heftchen in Frankreich weg geht wie die sprichwörtliche warme Semmel. Hessel gelingt es, in seiner Streitschrift „Indignez-vous!“ (Empört euch!) einer weit verbreiteten diffusen Stimmung eine Richtung zu geben. Hessel ruft in seinem, seit Mitte Mai auch in deutscher Übersetzung erhältlichem, Pamphlet dazu auf, sich entschieden in gesellschaftliche Auseinandersetzungen einzumischen.  Dabei erkennt er allerdings auch, was viele Menschen davon abhält, sich zu empören. „Die Gründe, sich zu empören, sind heutzutage oft nicht so klar auszumachen – die Welt ist zu komplex geworden. Wer befiehlt, wer entscheidet? Wir spüren die Interdependenzen, leben in Kreuz- und Querverbindungen wie noch nie.“ Davon sollte man sich aber nicht aufhalten lassen, denn Gründe sich zu empören gebe es genug. „Seht euch um,“ schreibt der zornige alte Mann, „dann werdet ihr die Themen finden, für die Empörung sich lohnt – die Behandlung der Zuwanderer, der in die Illegalität Gestoßenen, der Sinti und Roma.“ Hessel erinnert  in seiner Schrift aber auch daran, dass Charles de Gaulle dereinst die Banken verstaatlichte, um die Sozialversicherung zu finanzieren. Heute hingegen folge die Politik alleine den Vorgaben des Kapitals und beschädige damit nachhaltig Menschenrechte, Pressefreiheit und Umweltanliegen. Hessel empfiehlt, sich nicht von der Komplexität der Dinge einschüchtern zu lassen, sondern Neugier und Empörung zum Lebensstil zu machen. „Wir sollten nicht als gleichgültige Konsumenten, sondern als Bürger handeln. Das Schlimmste ist die Gleichgültigkeit. Dagegen ist ein wenig Empörung nur heilsam.“

Aber auch in Österreich hat sich jemand zu Wort gemeldet, der schon vor zehn Jahren auf das Abstellgleis geschoben wurde. Der ehemalige Caritas-Präsident Helmut Schüller meinte kürzlich in einem Zeitungsinterview: „Mir wurde nach langem Nachdenken klar, dass die Integrationsdebatte ein Ablenkungsdrama ist, das mit gut verteilten Rollen aufgeführt wird. Ablenkung davon, dass es längst um die Frage der Verteilung geht. Auch die Hetzer in der Ausländerdebatte sind Helfershelfer des Kapitals.“ Ziel des Kapitals, so der ehemalige Caritas Präsident, sei es, die Leute klein zu halten. Und damit sie nicht merken, dass sich einige Wenige immer schamloser bereichern, gebe man den Menschen „die Ausländer als Feinde, die verbeißen sich darin – und merken gar nicht, dass ein Dritter dazu lacht.“ Selbst aus konservativen Kreisen werden die Forderungen nach tiefgreifenden Systemveränderungen immer zahlreicher und lauter. Gründe genug um anzunehmen, dass die „kritische Masse“ für eine solche Veränderung bald erreicht sein wird. Und dann muss die Traditions-Linke wohl schauen, dass sie die gesellschaftlichen Entwicklungen nicht verschläft.

Wir hier bei Radio FRO 105.0 reißen uns wirklich einen Haxen aus, um zur Erzeugung dieser „kritischen Masse“ beizutragen. Von Ihnen möchten wir gerne wissen, wie Ihnen unsere Bemühungen so gefallen. Schreiben Sie uns doch, was Sie von Radio FRO halten und vor allem, wie Ihnen dieses Programmheft gefällt. Emails erwartet vorfreudig: andreas.wahl@fro.at.

 

Foto (cc)  Abode of Chaos

Zuletzt geändert am 02.08.12, 00:00 Uhr

Verfasst von Stefan Rois

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