a94c49a3c3a09853eaabb769a3b2afc8.jpg Ingo Petramer
Ingo Petramer

ALL IS FEVER

von Thomas Leonhartsberger /// Plattenkritik ///
Schon nach den ersten paar Takten fühlt man sich wieder zu Hause, zu Hause im Universum von Naked Lunch, und erst recht nach dem Einsatz der so charakteristischen fragilen, leicht rauen, hohen Stimme ihres Sängers Oliver Welter.

Somit kann sie sich also legen, die Aufregung darüber, wie es wohl werden würde, das sehnsüchtig erwartete neue Werk der Band, und gelöstem Zuhören weichen. Es ist das dritte reguläre nach der großen Zäsur zur Zeit der Jahrtausendwende, als Vertragsausstiege erfolgten und ein ehemaliges Mitglied früh starb.
 
Nachdem das darauffolgende Album von Erschöpfung, gepaart mit Verzweiflung, durchdrungen war und das nächste Anklänge von Optimismus erkennen ließ, folgte zwar Musik zu „Universalove“, dem famosen, weltweit ausgezeichneten Film von Thomas Woschitz, sowie zu Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“ für die Inszenierung am Stadttheater Klagenfurt, aber es dauerte vier lange Jahre, bis Anfang Februar endlich das neue Studioalbum erschien. Erneut wird, wer auf Fröhlichkeit oder gar Ausgelassenheit hofft, bitter enttäuscht. Wie heißt es doch in „At The Lovecourt“: „and truly got the blues“. Zu den mehrmals wiederkehrenden textlichen Elementen zählen etwa ein Hammer im alttestamentarischen, auslöschenden Sinn, Wasser, das seine reinigende Wirkung höchstens als Regen entfaltet und ansonsten lediglich als Schweiß von Wänden tropft, ein Besteigen von Bergen sowohl konkret als auch symbolisch für zu bewältigende Hindernisse, tröstliches Händehalten oder Umarmen, wobei die Verzweiflung jedoch manchmal so groß ist, dass ein Arm zur Linderung eigentlich schon nicht mehr genügt, sowie Einsamkeit, wenn auch immerhin geteilte.
 
Trotz allem keimt aber Hoffnung, nicht zuletzt symbolisiert durch die Rettungsdecke auf der Plattenfront. Bei der Heftigkeit derartiger Metaphern nicht kitschig oder gar lächerlich zu wirken, das ist einerseits große Kunst und andererseits dem Umstand geschuldet, dass zu den Erfahrungen insbesondere Welters, von dem wie üblich die Texte stammen, tatsächlich derartig substanzielle wie ein früher Verlust der Eltern oder ein vorübergehender tiefer sozialer Abstieg zählen. Obwohl beispielsweise die Musik mal, etwa in „The Sun“, dem dank seiner Eingängigkeit riesiger Verkaufserfolg beschieden sein sollte, an „Dancing Queen“ von ABBA, mal, wie in „Shine On“, an „Van Diemen´s Land“ von U2 denken lässt, ist es stets eindeutig Naked Lunch, was da in die Ohren dringt. 
 
Die Gruppe fand über die Jahre hinweg zu einem höchst unverwechselbaren Klang, dem sie auch hier verpflichtet bleibt. Trotz eher harter oder auch durchaus dreckiger Gitarren und immer wieder hämmernder Rhythmen ist er getragen und erhaben, ja, kann sogar zu Bombast neigen, gelegentlich wird er durch Chöre, Orgeln oder Klaviere bereichert, und ein unverzichtbares Element stellt eben diese grandiose Stimme dar. Abgesehen von der letzten, seltsam elektronisch wirkenden und etwas ratlos machenden Nummer „The Funeral“ klingt das Album überaus homogen. Das Schaffen der Gruppe ist zudem bereits umfangreich genug, um sich gelegentlich selbst zu zitieren, so evozieren insbesondere „Dreaming Hiroshima“ und „Hammer It All“ Bilder aus „Universlove“.
Wie schon seine Vorgänger entstand das Werk des, von Gastmusikern wie Gustav und Sir Tralala unterstützten, Quartetts wieder zum Großteil im Klagenfurter fuzzroom, dem Studio des, auch an der Komposition maßgeblich beteiligten, Bandmitglieds Herwig Zamernik.
 
Das Album „All is fever” von Naked Lunch ist 2013 by tapete records erschienen.

Thomas Leonhartsberger gestaltet seit 2005 die wunderbare Sendung „Radioreisen – Magazin für Reisen, Musik und Texte” auf Radio FRO 105.0.

Zuletzt geändert am 04.03.13, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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