Gesendet am Do 27. Jun 2019 / 18 Uhr
FROzine

„150 Euro können reichen? Mindestsicherung in Österreich“

Wie schaut es aus mit der Sozialen Mindestsicherung als Instrument der Armutsbekämpfung in Österreich? Die neue Studie „150 Euro können reichen? Mindestsicherung in Österreich“ gibt Auskunft. Erstellt wurde sie vom Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik der JKU Linz.

Ein ganzes Studienjahr lang hat das Projektmanagement-Team im Rahmen einer Lehrveranstaltung der JKU Linz von Sozial- und Kulturwissenschaftler Thomas Philipp zu diesem Themenbereich geforscht.

Die Studienergebnisse werden nun präsentiert. Dahingehend sind aus den fünf Themengebieten jeweils eine Person zu Gast im FROzine Studio, um einen näheren Einblick zu ermöglichen.

 

  • Ivana Kostadinovic – Entwicklung der Mindestsicherung
  • Bernhard Silberhuber – Bedingungsloses Grundeinkommen
  • Astrid Bauernfeind – Im Nachbarländervergleich (Deutschland, Schweiz, Österreich)
  • Agnesa Krasniqi – Mindestsicherung im medialen Diskurs
  • Simone Rienesl – Realität Betroffene

Hier finden sie die gesamte Studie „150 Euro können reichen? Mindestsicherung in Österreich“.

Moderation: Sigrid Ecker

 

Hier die Zusammenfassung der einzelnen Themengebiete vorweg (erstellt von Ivana Kostadinovic):

Themengruppe 1: „Entwicklung der Mindestsicherung in Österreich“

Das Kapitel widmet sich der Entwicklung der Mindestsicherung in Österreich. In einem ersten Schritt findet die historische Entwicklung einer ersten sozialen Absicherung in Österreich Berücksichtigung. Wobei Österreich in seinen Anfang als Sozialstaat, mit der Einführung der Sozial- und Arbeitslosenversicherung durchleuchtet wird ebenso wurde auf die Organisationsform als Selbstverwaltung der Sozialversicherung eingegangen. Besonders zentral ist das Solidaritätsprinzip, auf welches sich die österreichische Sozialversicherung stützt. Auch die Soziale Sicherung und Politikgestaltung im 21. Jahrhundert, mit den ihr zugrundeliegenden Sozialpartnern und den damals bestehenden Elementen bis zur Einführung der Sozialhilfe in den 1970er wurden berücksichtigt. 

Im Anschluss liegt der Fokus auf der Reform der Sozialhilfe 2010, wobei in einem ersten Schritt auf die Kritikpunkte der damals bestehenden Sozialhilferegelungen eingegangen wurde, welche beispielsweise die fehlende Rechtssicherheit der BezieherInnen, die unterschiedlichen Leistungshöhen in den Bundesländern sowie die ungenügende Einbindung in die gesetzliche Krankenversicherung, darstellen.  Darauf aufbauend findet sich die Skizzierung des Reformverlaufs hin zur tatsächlichen Einführung Bedarfsorientierten Mindestsicherung im Jahre 2010 ebenso wie die Darstellung der Zielvorstellungen für die Ausgestaltung der BMS, welche grundsätzlich die Kritikpunkte der vormaligen Sozialhilfe überwinden sollten.  Als weiteren Punkt finden die Zugangsvoraussetzungen zur BMS Berücksichtigung, welche sich im Vergleich zur Sozialhilfe erleichtert haben, dies lässt sich vor allem am Anstieg der BezieherInnen messen. Um die Entwicklung der BMS adäquat darzustellen, finden auch die Veränderungen der Leistungen im Zeitverlauf Beachtung, wobei auf die Bezugsdauer, die Berechnung der Leistungen und auf die Leistungshöhen eingegangen wird. Grundsätzlich war es relevant feststellen zu können, ob sich die Leistungen adäquat an veränderte inflationsbedingte Lebensbedingungen oder steigende Wohnkosten angepasst haben. 

Letztlich finden die Eckdaten der Reform der BMS 2019 Berücksichtigung. Wobei neben der Darstellung der massiven Leistungskürzungen, auch auf die neuen Regelsätze und den erschwerten Zugang für Nicht-ÖsterreicherInnen eingegangen wurde. Die Reform der BMS führt für die meisten BezieherInnen zu massiven Verschlechterungen, wobei vor allem kinderreiche Familien und Nicht-ÖsterreicherInnen davon betroffen sind. 

Themengruppe 2: Alternative Formen der Existenzsicherung

Zusammenfassung:

Das Ziel der Arbeit besteht darin, aufzuzeigen, welche Alternativen es zur Mindestsicherung gibt und inwiefern ihre Einführung in Österreich realistisch ist. Durch eine umfangreiche Literaturrecherche und ExpertInnen-Interviews wurde sich auf vier Alternativen fokussiert. Gängige staatliche Methoden in Österreich mit dem Ziel der individuellen Existenzsicherung werden beleuchtet, und in Hinblick auf deren Eignung als Instrument der flächendeckenden Armutsbekämpfung geprüft. Konkret wird hierbei auf Mindestlöhne, Arbeitslosenunterstützungsleistungen und Mindestpensionen eingegangen. Der Hauptfokus liegt jedoch auf dem Konzept des Bedingungslosen Grundeinkommens.

Der Großteil aller finanziellen Leistungen, welche direkt oder indirekt mit dem Ziel der Existenzsicherung in Verbindung gebracht werden können, ist in Österreich eng an Erwerbsarbeit gebunden. Grundsätzlich besteht die weithin etablierte Annahme, dass die Einbindung in ein Lohnarbeitsverhältnis im Leben jedes Menschen den erstrebenswerten Normalzustand darstellt und eventuelle Perioden der Erwerbslosigkeit immer als vorübergehend zu betrachten sind. Aus diesem Grund sollen die dabei erzielten Löhne und Gehälter existenzsichernd wirken. Um dies garantieren zu können, wurden bereits in vielen Ländern gesetzliche Mindestlöhne bzw. diesbezügliche kollektivvertragliche Regelungen etabliert. Jedoch basieren die Sozialleistungen des Staates grundsätzlich auf der zuvor verrichteten Erwerbsarbeit. 

Eine Alternative zu diesem System, in welchem die Erwerbsarbeit den zentralen Faktor einnimt, stellt ein Bedingungsloses Grundeinkommen dar. Ein Bedingungsloses Grundeinkommen spiegelt die Forderung nach einer bedingungslosen, flächendeckenden Existenzsicherung aller BürgerInnen, völlig unabhängig von deren zuvor erbrachten beruflichen Leistungen sowie ihrer aktuellen Lebenssituation, wider. Im Laufe der letzten Jahre wurde die Idee einen vom Staat finanzierten monatlichen Geldbetrag zur Verfügung zu stellen, immer häufiger öffentlich diskutiert. Bisher liegen praktisch keine aussagekräftigen empirischen Befunde in Hinblick auf die tatsächliche ökonomische und gesamtgesellschaftliche Wirkungsweise eines solchen Grundeinkommens vor. Eine Einführung, welche mit weitreichenden Änderungen unseres gesamten leistungs- und wettbewerbsorientieren Wirtschaftssystems einhergehen müsste, bleibt somit im theoretischen Diskurs und in einzelnen Projekten und Initiativen. Themen, welche in der Diskussion stehts auftauchen beschäftigen sich mit der Finanzierungsfrage, der Wertigkeit von Arbeit und Einkommen sowie der gesellschaftlichen Akzeptanz. Die vielseitigen Meinungen zu der Frage, ob eine solche Regelung überhaupt „sinnvoll“ wäre, ob die positiven Effekte einer bedingungslosen Existenzsicherung stark genug wären, um den enormen Aufwand in Kauf zu nehmen, der mit der Einführung und Aufrechterhaltung dieses Systems einhergehen würde, unterscheiden sich grundlegend. Bisher erfolgter Initiativen in der Schweiz und in Finnland werden weiters angeführt und beleuchtet. 

Themengruppe 3: Soziale Mindestsicherung im deutschsprachigen Raum

Zusammenfassung: 

Wir unterteilten unsere Arbeit in drei Hauptfragestellungen. Die Erste zielte auf den Vergleich der Mindestsicherungssysteme in Österreich, Deutschland und der Schweiz ab. Dabei wurde nicht nur auf die konkrete Ausgestaltung der jeweiligen Systeme eingegangen sondern auch auf besondere Charakteristiken wie z.B. der Schweizer Föderalismus. Darüber hinaus wurde auch auf HauptempfängerInnengruppe eingegangen, besonders in Bezug auf die aktuelle Diskussion zum Thema Missbrauch des Sozialsystems durch „Sozialtouristen“,.  

Bei der zweiten Fragestellung untersuchten wir die Armutsbekämpfung an der Schnittstelle zum Arbeitsmarkt. Zunächst wurde dafür die Armutsgefährdung in den Ländern Österreich, Deutschland und Schweiz erforscht, zusätzlich wurde die Begriffsdefinition der Weltbank und die Daten der EU-SILC-Studie zur Armutsgefährdungsquoten herangezogen. Des Weiteren  wurde auch auf die Veränderung der Armut im Zeitverlauf – Stichwort „Working Poor“ eingegangen. Ein Hauptaugenmerk wurde auf die Ziele der sozialen Mindestsicherung gelegt, wie z.B. die Bekämpfung von Elend oder die Aktivierung der MindestsicherungsbezieherInnen. Bei der ExpertInnen Befragung wurde auch auf den weitverbreiteten Glauben eingegangen, dass die Mindestsicherungssysteme zum Ausruhen in der „soziale Hängematte“ einlädt.

In der letzten Fragestellung untersuchten wir die Entwicklung der Mindestsicherung. Dazu wurden die Sozialausgaben der jeweiligen Länder, gemessen am BIP im historischen Zeitverlauf untersucht und verglichen. Dabei wurde der Fokus u.a. auf besondere Ereignisse wie z.B. die Weltwirtschaftskriese gelegt. Von großer Relevanz war auch die potentielle Veränderung der Mindestsicherung durch die Migrationsbewegung. Darüber hinaus wurde eine mögliche Korrelation zwischen links- und rechtsgerichteten Regierungen und Mindestsicherung untersucht. 

Abschließend wurde der Blick auf potentielle Grenzen des Sozialstaates gerichtet. Bei dieser Frage untersuchten wir wie weit ein Sozialstaat ausgebaut sein kann bzw. sein soll. Darüber hinaus versuchten wir mit Hilfe der ExpertInnen, die Frage zu beantworten „Wie ein ideales Mindestsicherungssystem aussehen soll“.  

Themengruppe 4: Mindestsicherung im medialen Diskurs 

Zusammenfassung:

Das Hauptziel der Arbeit besteht darin, darzulegen, welches Bild die Zeitungen der Standard, der Kurier und die Kronen Zeitung der Gesellschaft von der österreichischen Politik vermitteln wollen und inwiefern von einer medialen Beeinflussung der LeserInnenschaft gesprochen werden kann. Um diese Zielsetzung erreichen zu können, fand die Methode der medialen Fein- und Grobanalyse Anwendung. 

Die ausgewählten Zeitungen der Standard, der Kurier und die Kronen Zeitung sind in ihrer Berichterstattung äußerst unterschiedlich. Der Standard ist ein sehr objektives Blatt und zeichnet sich, von Kolumnen und Kommentaren abgesehen, durch eine ausführliche und sachliche Berichterstattung aus, die wenig Hinweise auf eine beabsichtigte Beeinflussung der LeserInnenschaft aufzeigt. Ebenso dienen die verwendeten Fotos nur zur Information. Auffallend ist allerdings, dass der Standard viele APA-Aussendungen veröffentlicht. Im Vergleich mit dem Kurier zeigt sich, dass dieser wahrscheinlich ebenfalls auf Aussendungen von APA zurückgreift, diese aber nicht als solche kennzeichnet, sondern stattdessen auf „Agenturen“ verweist. 

Der Kurier kann, ähnlich dem Standard, auch als objektives, überwiegend neutrales Printmedium bezeichnet werden. Stilistisch betrachtet, beinhaltet der Kurier etwas mehr Metaphern und andere sprachliche Mittel als der Standard, welcher nur rhetorische Stilmittel innerhalb der direkten Zitate umfasst. Die ausgewählten Bilder dienen lediglich als zusätzliche Informationsquelle, von einer absichtlichen Beeinflussung der Bevölkerung kann dementsprechend auch in Bezug auf den Kurier nicht gesprochen werden. 

Die Kronen Zeitung berichtet in einem, schwer mit dem Standard und Kurier vergleichbaren Stil. Die vielen länderspezifischen Ausgaben der Kronen Zeitung unterscheiden sich in ihrer Berichterstattung deutlich. Es ist jedoch in jeder Auflage erkennbar, dass die politische Meinung der RedakteurInnen in die Texte eingebaut wurde. Weiters gebrauchten die JournalistInnen der Kronen Zeitung viele rhetorische Elemente und Metaphern. Der Schreibstil ist daher nicht als objektiv und neutral zu bewerten. Verwendete Fotos wurden bewusst ausgewählt und möglichst groß abgebildet, um Aufmerksamkeit zu erregen. Den LeserInnen wird ab dem ersten Satz ein eindeutiges Stimmungsbild vermittelt und die Beeinflussung passiert in vielen Fällen nicht nur unterschwellig, sondern direkt und zweifellos erkennbar. 

Die Berichterstattung der Kronen Zeitung zeigt eine Veränderung bei jedem diskursiven Ereignis. Es war kein kontinuierlicher Anstieg der Zahl der Artikel zu erkennen, sondern die Masse an Berichten richtete sich klar nach der Skandalträchtigkeit der Thematiken aus. Derartige Schwankungen hinsichtlich Artikelanzahl waren bei den anderen beiden Tageszeitungen nicht erkennbar.

Themengruppe 5: Mindestsicherung aus der Sicht von Betroffenen 

Zusammenfassung: 

Das Ziel der Arbeit besteht darin, die Situation von MindestsicherungsbezieherInnen aus deren Perspektive möglichst realistisch aufzuzeigen. Um den Forschungsbereich adäquat einzuschränken wurden ausschließlich alleinerziehende Personen, die Mindestsicherung beziehen oder bis vor kurzem bezogen haben ausgewählt. Insbesondere wurde untersucht, wie sich die finanzielle Situation der Betroffenen verhält, welche ausschlaggebenden Gründe es für den Beginn des Bezugs von Mindestsicherung gibt oder gab, wie sich der Lebensstandard der BezieherInnen seit Beginn des Bezugs qualitativ verändert hat, welche Vorschläge zur Verbesserung der Gesamtlebenssituation die Betroffenen haben und ob und inwiefern sich MindestsicherungsbezieherInnen mit Stigmatisierung konfrontiert sehen. 

Als geeignete Forschungsmethode zur Beantwortung der gewählten Forschungsfragen wurde das qualitative, leitfadengesteuerte Interview mit mehreren Betroffenen gewählt. Dabei wurde vor allem auf neutralen und respektvollen Umgang mit den InterviewpartnerInnen geachtet. Der Interviewleitfaden wurde den Anforderungen der Forschungsfragen angepasst um möglichst konkrete Informationen über die persönliche Situation der MindestsicherungsbezieherInnen zu erhalten. Wichtig war dabei vor allem unmissverständliche Fragen zu formulieren, die die Möglichkeit bieten würden klare und strukturierte Antworten zu erhalten. 

Zusätzlich zu den Interviews mit direkt Betroffenen Personen wurde ein Exkurs in den Bereich der Pflege von Beeinträchtigten unternommen, da auch in dieser Personengruppe ein großer Anteil bedarfsorientierte Mindestsicherung bezieht. Hierzu wurde ein Interview mit einer Pflegemitarbeiterin im Behindertenbereich durchgeführt, welches die finanzielle Situation der betreuten Klienten untersuchte.  

Die Erkenntnisse aus den Forschungsarbeiten waren insofern ähnlich, als dass die meisten befragten BezieherInnen die Aussage tätigten, mit der finanziellen Situation seit Bezugsbeginn zu kämpfen zu haben. Ebenfalls gaben mehrere der Befragten Personen an in der Vergangenheit Probleme bei der Antragsstellung oder -verlängerung mit BeamtInnen gehabt zu haben und sich vor allem in diesem Kontext von Stigmatisierung betroffen fühlten. Außerdem konnten alle befragten Personen eindeutige qualitative Einschränkungen im eigenen Lebensstandard feststellen, die mit dem Beginn des Bezugs von Mindestsicherung in Verbindung stehen, so wie in etwa die fehlende Möglichkeit bestimmte Freizeitaktivitäten durchzuführen (z.B. Ausflüge oder längere Urlaube). 

Moderation: Sigrid Ecker

 

 

 

 

Zuletzt geändert am 24.07.19, 15:56 Uhr

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