33d622a02dd972f9a6047346f10f1492.jpg Helena Wimmer
Helena Wimmer

Das richtige Leben beginnt immer im falschen.

Interview: Martin Wassermair

Interview mit Robert Misik über neue Solidarmodelle
und eine dezentrale Miteinander-Ökonomie.

Wie es scheint, wird der Kapitalismus den Geist nicht so schnell aufgeben. Was bedeutet das für die Sehnsucht nach mehr gesellschaftlicher Solidarität?
Nun, gerade wenn der Kapitalismus seinen Geist aufgibt, wird das nicht ohne gröbere Krisen ablaufen – oder eben auf die Weise, die wir heute schon beobachten: Dass es sukzessive bergab geht, der ökonomische Stress zunimmt. Umgekehrt wäre gerade eine Gesellschaft, in der alle Menschen die Möglichkeit haben, ihr Leben in Sicherheit und entsprechend ihrer Präferenzen zu führen, vielleicht noch eine Möglichkeit, diesen Kapitalismus, der ächzt und keucht, zu stabilisieren. Denn eines ist klar: Ein Kapitalismus, in dem die Reichen immer reicher werden und es für die normalen Menschen nur mehr Brosamen und Krise gibt, wird nicht überleben. Sozialismus für die Investoren und Austerität für hungernde Kinder – das fährt das System mit Gewissheit an die Wand.


Wie lassen sich angesichts des zunehmenden Abbaus der sozialen Wohlfahrtssysteme neue solidarische Modelle verwirklichen?

Erstens muss man diesem Abbau entgegenwirken. Zweitens muss man die Vermögenden an der Finanzierung des Sozial-
staates beteiligen, drittens muss man, etwa durch Arbeitszeitverkürzung, dafür sorgen, dass die Menschen wieder Jobs finden, von denen man leben kann. Würde das gelingen, wäre auch der Abwärtsdruck auf die Einkommen nicht mehr so stark.Zugleich aber entwickeln viele Menschen neue Institutionen: Das reicht von der solidarischen Ökonomie bis zu den Start-Ups, von Genossenschaftsmodellen bis zu dezentraler Energieversorgung. Hier gibt es überall sehr viel Aktivität, hinter der vielleicht keine große Strategie steht, aber die – gleichsam hinter dem Rücken der Akteure – zur Entstehung eines neuen Wirtschaftssektors führt.


In deinem Buch „Kaputtalismus“ beschreibst du Grundzüge einer „Miteinander-Ökonomie“. Inwieweit lassen sich darin Argumente gegen Adornos Auffassung finden, dass es kein richtiges Leben im falschen gäbe?

Ich halte den Adorno-Satz ohnehin für grundlegend falsch. Menschen probieren immer etwas aus, gehen Kompromisse ein, setzen Reformen durch, die nur kleine Puzzleteilchen sind – und auf diese Weise verbessern sie unsere Gesellschaften, ohne sie gleich zu Idealstaaten zu machen. Die Geradlinigkeit des „Alles oder Nichts“ ist doch eher eine Methode, mit der man meist mit dem Kopf gegen die Betonwand rennt. Das richtige Leben beginnt immer im falschen.

Und noch abschließend: Die ökonomische und soziale Krise hat auch in Österreich ein umfangreiches Ausmaß angenommen. Welchen Stellenwert haben deiner Meinung nach zivilgesellschaftliche Initiativen, um der Entwicklung von Entsolidarisierung und Ungleichheit hierzulande entgegenzuwirken?
Wenn die künftige Ökonomie und Gesellschaft dezentraler sind, wenn sie von neuen Formen des Wirtschaftens auch getragen werden – wie eben Genossenschaften, wie eben von Leuten, die sich ihre eigenen Arbeitsformen schaffen, gemeinsam mit Freundinnen und Freunden, wenn der Miteinander-Sektor an Bedeutung gewinnt, dann ist eben auch klar, dass der primär von der Zivilgesellschaft getragen sein wird.

// Robert Misik ist Journalist und politischer Buchautor.

»Kaputtalismus. Wird der Kapitalismus sterben, und wenn ja,
würde uns das glücklich machen?«

Aufbau Verlag, Berlin 2016, 224 Seiten, 16,95 €.

 

Zuletzt geändert am 08.07.16, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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