Demokratisierung durch Teilhabe Urheber*innenrecht und Freiheit im Netz
von Magdalena Reiter //
Einer der Leitsätze der Aufklärung war Wissen ist Macht (Francis Bacon). Geteiltes Wissen ist somit geteilte Macht. Man nennt diesen Prozess auch Demokratisierung, meint Magdalena Reiter in ihrem Versuch, den zeitgenössischen Diskurs um Urheber*innenrecht und Freiheit im Netz zu charakterisieren. Dabei müsse digitalen Gütern aufgrund ihrer leichten Teilbarkeit ein besonderer Stellenwert zugemessen werden.
Das Wort Gemeinfreiheit ist zugegeben etwas sperrig, aber doch, wie ich meine, ein unglaublich interessantes Wort dieser Tage. Und weil es wohl vielen anderen genauso geht wie mir, setzt sich nicht mehr nur ein Kreis Eingeweihter – nämlich Jurist*innen – mit der Gemeinfreiheit auseinander, sondern ebenso immer häufiger Menschen, die Amateur*innen in Sachen Recht sind und sich aus unterschiedlichen Berufssparten zusammenfinden. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Gemeinfreiheit betrifft uns alle: Sie beschreibt jenen Zustand, den geistige und kreative Schöpfungen haben, wenn sie keinen Schutzrechten wie beispielsweise dem Urheber*innenrecht, einem Patent oder dem Markenrecht unterliegen. Solche gemeinfreien Inhalte, wie etwa Melodien oder Samples, Textausschnitte oder gar ganze Bücher, Fotografien oder Gemälde dürfen ohne die Klärung von Rechten und ohne finanzielle Vergütung verwendet werden. Kurz zusammengefasst: Sind Inhalte gemeinfrei, sind sie Gemeingüter, die von allen benützt werden dürfen – sei es für private oder berufliche, für kommerzielle oder nicht-kommerzielle Projekte.
Bis 70 Jahre nach dem Tod
Vielleicht ist es noch notwendig an dieser Stelle zu sagen, dass all jene geistigen Güter, die eine gewisse Schöpfungshöhe nicht erreichen, also eine Schwelle an Individualität oder Originalität nicht überschreiten, automatisch gemeinfrei sind. Man kann solche Güter weder urheber*innenrechtlich schützen noch ein Patent dafür erwerben. (Unter gewissen Umständen könnte man aber ein Markenrecht daraus machen, wie der angebissene Apfel als Logo eines bekannten Elektronikherstellers aus Kalifornien zeigt.) Jene geistigen Güter, die diese Schöpfungshöhe aber erreichen oder eine Innovation darstellen, können für eine gewisse Zeit einen Schutz vor der Verwendung und Verwertung durch Mitbewerber*innen oder Privatpersonen erlangen. Dieser Schutz ist begrenzt, wobei das Urheber*innenrecht den wohl längsten Schutz darstellt: er gilt bis zum Tod der Autor*innen und 70 Jahre darüber hinaus.
Irgendwann aber werden alle Werke gemeinfrei, denn das haben wir uns als Gesellschaft so ausgemacht. Lediglich wenn sich die Schöpfer*innen der Werke entschließen, diese schon vor Ablauf der genannten Frist als Gemeingut teilbar zu machen, ist eine Ausnahme möglich.
Wir schöpfen aus dem Pool unserer Vorgänger*innen
Dass es solche gemeinfreien Inhalte gibt, ist unerlässlich für die Weiterentwicklung von technischen, kulturellen oder künstlerischen Gütern – sei es für jene, die wir aus Freude in unserer Freizeit generieren, oder für jene, die später urheber*innen-, patent-, oder markenrechtlich geschützt sind. Nehmen wir die archimedische Schraube als Beispiel: Sie wurde vor rund 2300 Jahren entwickelt, also in einer Zeit, in der wir solche Schutzrechte wie heute noch gar nicht kannten. Sie darf nachgebaut werden und für die Entwicklung neuer Geräte problemlos Verwendung finden – und das tut sie auch, zum Beispiel bei Bewässerungsanlagen oder in abgewandelter Form als Schiffspropeller. Viele Gegenstände, Ideen, Techniken, Entwicklungen oder Prozesse sind in einem Pool, den unsere Vorgänger*innen und auch Zeitgenoss*innen gefüllt haben. Wir schöpfen bewusst oder unbewusst daraus, wenn wir selbst Dinge (neu) gestalten und erfinden. Dieser Pool dient als Fundament für unsere Entwicklungen, so wie auch unsere Entwicklungen irgendwann Fundament für Nachkommendes sein werden.
Digitale Gemeingüter
Nun ist es so, dass in den letzten 15 Jahren die digitalen Gemeingüter einen besonderen Stellenwert eingenommen haben. Digital erstellt oder nach der Erstellung digitalisiert, können Inhalte beliebig oft übers Netz geteilt werden. Außerhalb der Erstellungskosten entstehen bei dieser Form der Distribution nur geringe Mehrkosten, was die Verbreitung gegenüber bis dato üblicher Distributionsmedien wie zum Beispiel dem Buch, der CD, der Videokassette oder der DVD überaus effektiv und massentauglich macht. Weil alle Menschen, die Zugang zu einem digitalen Gemeingut brauchen, diesen allein mit Hilfe eines Internetanschlusses erhalten können, ohne dass dabei jemand einen zusätzlichen Mehraufwand hätte oder das Gemeingut wie ein physisches Gut teilen müsste, sind digitale Gemeingüter gerade für große Gemeinschaften wie Städte, Länder aber auch transnationale Verbünde von unglaublich hohem Wert.
Gerade die digitalen Güter sind es aber auch, die in den letzten Jahren die Diskussion rund um den Schutz unserer geistigen Schöpfungen um einiges hitziger gemacht haben. Weil geschütztes Material technisch ebenso einfach geteilt werden kann wie gemeinfreies, passiert es nicht selten, dass in der Diskussion offener, freier Zugang und missbräuchliche Verwendung in einen Topf geworfen werden. Selbstverständlich sollen die Rechte von Urheber*innen eingehalten werden. Es macht aber wenig Sinn, aus diesem Grund die Bestrebungen in Richtung Gemeinfreiheit als „Gratiskultur“ zu diskreditieren. Denn wir brauchen diesen Pool an gemeinfreien Werken, um unsere Kultur, Technik und Wirtschaft lebendig zu halten.
Teilhabe muss aktiv verstanden werden
Wir können dementsprechend in der Diskussion nicht für ein Entweder-oder eintreten, sondern müssen beiden Bereichen eine Berechtigung einräumen und für ein ausgewogenes Verhältnis sorgen. Wie wir das schaffen können? Der erste Schritt ist wohl, dafür zu sorgen, unsere aktuellen Kulturtechniken zu respektieren und nicht zu diskreditieren. Umgesetzt werden kann das etwa durch Schrankenregelungen, die den nicht-kommerziellen Bereich eindeutig aus der Illegalität führen. Wenn beispielsweise jemand ein Handyvideo eines Geburtstagsfestes auf YouTube hochlädt und im Hintergrund geschützte Musik läuft, oder wenn eine Gruppe Schüler*innen im Kunstunterricht ein Video mit Schnipseln aus alten Serien macht und auf der Schulwebsite veröffentlicht, dann muss dies unter eine Bagatellgrenze fallen. Aber auch, wenn der nicht-kommerzielle Bereich überschritten wird, brauchen wir die Möglichkeit, Werke zu schaffen, zu veröffentlichen und zu verwerten, die auf den Arbeiten anderer aufbauen. Dafür sollten vertragliche Lizenzen ohne große Mühe erhältlich sein, für die selbstverständlich eine adäquate finanzielle Entschädigung fließen muss.
In einer vernetzten Welt, in der tagtäglich eine Vielzahl an Bildern, Texten und Tönen auf uns einprasselt, sollte der aktive Umgang damit nicht maßgeregelt, sondern legitimiert werden. Es braucht ein reformiertes Urheber*innenrecht, das sowohl unsere moderne Medienrealität berücksichtigt als auch die Ansprüche der unterschiedlichen Teilnehmer*innen unseres gesellschaftlichen Lebens – das sind Urheber*innen genauso wie Konsument-*innen oder Verwerter*innen. Dafür existieren mittlerweile genügend Lösungsvorschläge. Die Herausforderung besteht darin, nicht nur jenen Gehör zu verschaffen, die die Vorteile der momentanen Lage genießen und dadurch ihre Monopolstellung ausbauen können, sondern zuvorderst eine Rechtslage zu schaffen, die allen nützt.
// Magdalena Reiter arbeitet als Designerin an der Schnittstelle zu Kunst und Architektur.
Ihr besonderes Interesse gilt Open Design und kollaborativem Arbeiten. Sie ist für unterschiedliche Initiativen tätig, die sich für kreative, digitale Gemeingüter einsetzen.
Zuletzt geändert am 31.08.14, 00:00 Uhr
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