Die Krise ist keine des Mangels, sie ist eine des Überflusses

von Petra Radeschnig ///

Wer erinnert sich an den tendenziellen Fall der Profitrate? Ein Schub in Richtung Fall hat in den 1970er Jahren einen ebensolchen in Richtung Globalisierung und Deregulierung ausgelöst, so könnten wir es betrachten.

Und weiter: das Kapital ist die entscheidende Kraft im Kapitalismus, der Markt ist nur seine prinzipielle Organisationsform. Und von diesem Kapital, das nur eins ist, wenn es nach Verwertung, nach Rendite, nach Wachstum strebt, und damit erfolgreich ist, gibt es zu viel. Die Umverteilung von unten nach oben wurde effizient organisiert.
Seit den 90er Jahren sinken die Arbeitseinkommen bei gleichzeitig massiv steigender Produktivität – in Ö. etwa seit 1995 real um 0,5% zu 24% (vgl. Studie der AK OÖ zit. in: Werkstatt-Blatt 3/2011), das unterste Lohneinkommensfünftel verliert 1995-2008 gar brutto 25% (vgl. Sozialbericht 2009/10). Für die internationale Ebene zeigt dies der aktuelle Human Development Report.

Also treibt es sich herum, das Vermögen, und sucht nach Veranlagung. Durch diese Übernachfrage entstehen bisweilen bizarre Angebote, etwa risikoverschleiernde Derivatprodukte mit besten Bewertungen. Oder leer stehende Reihenhäuser mit dauerbesprenkelten Golfplätzen dazwischen. Dann platzt 2008 dem Ganzen endlich die Blase…
Und das Kapital wird teilweise vernichtet.

Doch zu wenig,
und die Finanzkrise ist nur vorläufig gedämpft, weil die Banken als wichtige intermediäre Akteurinnen gerettet wurden. So ist sie jetzt wieder da, wird Schuldenkrise genannt, das erzeugt den Eindruck von Mangel.
Schlau gemacht, weil so können verschiedenste Überflüssigkeiten wie soziale Leistungen, ArbeitnehmerInnenrechte oder demokratische Gepflogenheiten leichter entfernt werden. Wir können ja nicht „auf Kosten unserer Kinder“ Schulden machen und überhaupt lebten wir zu lange „über unsere Verhältnisse“. Und stimmen tut das alles, weil es „die Märkte verlangen“, erklären die Mächtigen (zum Beispiel Berlusconis Nachfolger Mario Monti im Ö1-Abendjournal vom 11.11.2011). Die Reaktionen dieser Märkte sind erstens wunderbar undurchschaubar und zweitens, wohl deswegen, objektiv richtig, obwohl schon auch böse, aber weil wir eben über unsere Verhältnisse gelebt haben und so.
Gut, dass es die Ratingagenturen gibt, die fassen das alles dann in klare Noten zusammen, sodass die Herrschenden die Zusammenhänge simpel verkünden können: Der Staat hat Schulden, weil er zu viel ausgegeben hat, so bestrafen ihn „die Finanzmärkte“, daher muss er brav sein und sparen, damit er gute Noten kriegt und die neuen Schulden nicht teurer werden. Sparen, so heißt es, geht nur bei uns vielen, sonst bringt’s nichts. Die Wirtschaft wächst nicht g‘scheit, die Schulden werden nicht weniger, daher muss weiter gespart werden und so fort. Und die so genannten InvestorInnen, deren Verluste vorher von den Staaten aufgefangen wurden, leihen diesen nun wieder die staatlichen Gelder zurück. Der Überschuss an Kapital wird größer. Ein wunderbares Spiel.
Die Dosis wird verstärkt, weil die Wirkung ausbleibt.

Entweder sind die Herrschenden kognitiv zu blöd oder sie machen es bewusst. Vieles spricht für Zweites. Zuerst rege ich frisch-fröhlich die Vermögensanhäufung an, schaffe die materiellen Voraussetzungen für das Mächtigwerden der „Finanzmärkte“ (etwa durch die staatliche Förderung fondsgestützter Pensionsvorsorge, weil das Pensionssystem angeblich nicht mehr finanzierbar sei). Gleichzeitig bearbeite ich die Öffentlichkeit (etwa durch tägliche Berichte über Aktienkursentwicklungen) und behaupte dann, dass Marktregulierung in globalisierten Zeiten wie diesen nicht mehr funktionieren kann. Auch weil politisch-demokratische Prozesse zu langsam seien, und der Markt doch rasches Handeln erfordere.

Und blöd ist wer anderer oder wie? Wenn schon „über unsere Verhältnisse“, dann betrachten wir bitteschön die Produktionsverhältnisse des Kapitalismus. Diese bringen reiche Ökonomien wie Österreich dazu, ihren durch die hohe Produktivität erwirtschafteten volkswirtschaftlichen Überfluss dermaßen bescheuert zu organisieren, dass dieser Pallawatsch rauskommt, der uns dann als natur- sprich marktgegeben entgegentritt. Erstens gilt es, ökonomisch den Rahmen zu übertreten, das heißt die Machtfrage zu stellen, zweitens dürfen wir nicht nur die Finanzmärkte bändigen wollen und drittens muss das profitsuchend herumirrende Kapital vernichtet, heißt umgelenkt, werden…

Damit der Überfluss gesellschaftlich
sinnvoll wirken kann.

Kurzfristig hieße das: Staatsschulden aus der Bankenrettung streichen und in Eigentumstitel an den Banken umwandeln. Öffentliche Schulden aus Zinsen, die das Wirtschaftswachstum übersteigen, oder aus absurden Finanzmarktderivaten für illegitim erklären, also ersatzlos streichen. Risikoreiche Finanzmarktprodukte vom Markt nehmen. Spekulation mit bestimmten Gütern, insbesondere Nahrungsmittel, verbieten.
Mittelfristig: Die Primärverteilung zugunsten von Arbeitseinkommen verschieben, das heißt nicht investierte Unternehmensgewinne werden vor allem als Löhne und Gehälter ausgeschüttet und nicht in Form von Renditen an die AnteilseignerInnen. Für den gesamten Einkommensbereich die Steuerprogression im mittleren Bereich mindern, im oberen Bereich anziehen, und zwar bis 100%. Somit wären die Einkommen gedeckelt.

Langfristig: Die Arbeit(szeit) so verteilen, dass dabei würdig bezahlte Beschäftigung für alle herauskommt. Zudem die Abgabenbasis verbreitern, etwa durch Einbeziehung von Abschreibungen auf das Sachkapital. Denn derzeit basieren Steuern und Sozialversicherungsbeiträge vor allem auf Einkommen und hier insbesondere auf Arbeitseinkommen. Ein Umstand, der die Vermögensanhäufung begünstigt.

Nur so stellen wir nachhaltig für alle leistbare soziale Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, kommunale Infrastruktur, öffentlicher Verkehr, Wohnbau, etc. sicher. Damit wir den Überfluss an Zeit, der in unserer reichen Volkswirtschaft eigentlich vorhanden wäre, in Ruhe für demokratische Auseinandersetzungen nutzen können.

 

—–

Petra Radeschnig ist Ökonomin und Organisationsberaterin. Sie lebt vor allem in Wien, manchmal in Ouagadougou.

Zuletzt geändert am 16.05.12, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

zur Autorenseite

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden von der Redaktion moderiert. Es kann daher etwas dauern, bis dein Kommentar hier erscheint. Wir behalten uns vor, diskriminierende oder diffamierende Kommentare, sowie solche, die straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, zu entfernen.