05cb305382c710dfe8646ecb3c9d4819.jpg Andrea Peller
Andrea Peller

Die schweigende Mehrheit sagt JA

von Tina Leisch//
Liebe Damen, Herren und Transgender!
Die schweigende Mehrheit sagt JA. JA zu menschenwürdiger Unterbringung von Flüchtlingen, JA zu Menschenrechten für Flüchtlinge. JA zu einer solidarischen und pragmatischen Flüchtlingspolitik. In ganz Österreich stellt die Bevölkerung unter Beweis, dass sie viel weniger Angst vor Fremden hat als die Politiker*innen glauben. Überall bieten Menschen privaten Wohnraum an für die Flüchtlinge, die die Innenministerin seit Wochen in Traiskirchen auf dem Trottoir schlafen läßt. Vor dem Lagertor von Traiskirchen halten Ärzt*innen, die man nicht hineinlassen will, Ordination auf der Straße. Alle paar Minuten fährt ein Auto mit Menschen vor, die Kleidung oder Nahrungsmittel spenden möchten. Die ÖVP hat eine Telefonumfrage präsentiert, wonach 78% der Oberösterreicher*innen meinen, Österreich habe die Verantwortung Kriegsflüchtlinge zu unterstützen und aufzunehmen.

Seit über zwanzig Jahren gelang es der rechtsextremen Hetze, der SPÖ und der ÖVP vorzugaukeln, die Bevölkerung sei mit rassistischen Ressentiments zu mobilisieren. ​Wer Wahlen gegen die FPÖ gewinnen wolle, der müsse sie in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik rechts überholen. Seit über zwanzig Jahren verschärft vor allem Rot-Schwarz das Asyl-, Aufenthalts- und Einwanderungsrecht mehr und mehr, angepeitscht vom Phantasma einer zähnefletschend xenophoben Bevölkerung, der man es unbedingt recht machen möchte.

Das xenophobe Phantasma ist falsch

Nun beweist die Bevölkerung überall, dass das Phantasma falsch ist. Dass es nur eine kleine, bedauernswerte Minderheit ist, die ihre Angst vorm Leben und ihre Minderwertigkeitskomplexe auf Flüchtlinge, Einwanderer und Fremde projiziert. Dass die meisten Menschen nicht ungerührt zuschauen können, wie Mitmenschen wochenlang nur mit einer Decke im Freien schlafen müssen, sondern anpacken, helfen, die Missstände beseitigen möchten.

Die von der Innenministerin bewusst und absichtlich herbeigeführte humanitäre Katastrophe entlarvt viel mehr als nur den Zynismus und die Skrupellosigkeit Mikl-Leitners. Sie entlarvt die populistische Verkommenheit einer politischen Klasse, deren politische Überzeugungen, Konzepte und Ideologien nur Ergebnisse von Markt- und Meinungsforschung sind: Man vertritt die Ideen, von denen man glaubt, dass sie sich am besten verkaufen lassen. Wenn das Kalkül einmal nicht aufgeht, wie zuletzt im Burgenland, verrät man kurzerhand alles, was man gestern vertreten hat, und vertritt halt heute das Gegenteil. Das wahre Ziel politischer Betätigung ist die Sicherung der eigenen Pfründe.
Die gemütliche Korruption und der gemütliche Opportunismus ergänzen sich zur gemütlichen Skrupellosigkeit, an die sich die Bevölkerung gewöhnt zu haben scheint, solange das Bier aus den Zapfhähnen rinnt und die Euros aus den Bankomaten.
Noch erreichen nur die letzten Ausläufer der Kriege und Krisen Österreich. Noch werden Delogierungen, weil Leute ihre Mieten nicht mehr zahlen können, als Ausdruck eines persönlichen Versagens wahrgenommen, nicht als Ausdruck einer Krise, die alle betrifft – wie in Spanien, wo die Delogierten eine starke politische Bewegung gegen die Delogierungen aufgebaut haben. Noch bomben die Islamist*innen nicht in Wien, nur in Nigeria, Syrien und dem Irak, nur in Paris, London, Brüssel. Noch sind die Auswirkungen der Konflikte keine existenzielle Bedrohung für die allermeisten Leute in Österreich. Noch versteckt sich die schweigende Mehrheit meistens hinter der Maske des manipulierbaren Substrates von Werbeagenturen, Stimmungsmacher*innen und Meinungsforscher*innen.

Mehr Herz und weniger Angst

Die österreichweite Solidaritätswelle mit den Flüchtlingen lässt diese Maske bröckeln und dahinter zeigt sich, dass die Leute mehr Herz und weniger Angst haben, als es den Herrschenden recht sein könnte.
Wenn in jeder Gemeinde ein paar Flüchtlinge leben, die Menschen ins Gespräch kommen und miteinander zu tun haben, wird es schwieriger für diejenigen, die uns partout gegeneinander aufhetzen möchten, um ihre Pfründen und Profite zu retten.
Wenn wir uns heute aus der Position der Stärkeren mit den Schwächeren solidarisieren, vielleicht schaffen wir es dann demnächst auch, uns aus der Position der Schwächeren gegen die Stärkeren aufzulehnen?

www.schweigendemehrheit.at

Tina Leisch ist Film-, Text- und Theaterarbeiterin.

Zuletzt geändert am 08.09.15, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

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