Editorial °12

von Andi Wahl /// Kunst und Gesellschaft
Zeitungmachen ist etwas wunderbares!! Meist beginnt es damit, dass man sich hinsetzt und in die Luft starrt. Wozu hat man etwas zu sagen? Wozu muss man etwas sagen? (Die Informationsgesellschaft, in der wir angeblich leben, ist ja ein Mythos. Zu so vielen wichtigen Informationen haben große Teile der Gesellschaft keinen Zugang.) Ist erst einmal ein Thema gefunden, so stolpert man in den nächsten Tagen dauernd darüber. Ein Phänomen das erklärbar, aber immer wieder erstaunlich ist.

So findet man meistens auch schnell AutorInnen und Autoren, die man einlädt zu schreiben und mit denen man das gewählte Thema noch diskutiert und schärft. In besonders günstigen Fällen gehen solche Diskussionen auch weit über das hinaus, was man in die Zeitung bringen möchte. So erging es mir bei der Arbeit an dieser Nummer mit Michael G. Kraft. Er schrieb mir in einem Mail, vom 1. Mai, den in Zürich verbrachte:
„Ich hatte gestern noch eine sehr nette Begegnung. Boots Riley und seine Band the Coup spielten ein Konzert und er hielt am Abend noch einen Vortrag zu seinen Erfahrungen in der Occupy Oakland Bewegung in den USA (eine sehr spannende Episode, denn sie vernetzten sich mit den HafenarbeiterInnen und riefen einen Generalstreik aus).

Abgesehen davon, dass es einer der reflektiertesten Vorträge von AktivistInnen war, den ich je gehört hatte, kam er auch aufgrund einer Frage zum Verhältnis von Kunst und Politik zu sprechen
(er ist ja politischer Aktivist und Musiker). Und das Beispiel, das er nannte war sehr schön. Er erzählte von der alltäglichen Polizeigewalt (gegen Schwarze) und dass es bei Übergriffen immer wieder zu Todesfällen kommt (einmal chauffierte die Polizei vermeintliche Drogendealer so lange herum und brachte sie nicht ins Krankenhaus, bis sie verstarben). Nicht so bei einem Ereignis von 1989. Als eine Mutter ihre beiden jungen Söhne gegenüber der Polizei verteidigen wollte, schlugen sie sie nieder. Eine Masse von Menschen versuchte zu helfen, doch sie wurden von der Polizei vertrieben. Plötzlich stimmte jemand das Lied „Fight the power“ von Public Enemy an, das damals in den Charts war. Die Menschen ermächtigten sich, liefen zurück und schlugen die Polizei in die Flucht und konnten so die Familie retten. Auch das kann Kunst bewirken ;-)“

Ich möchte diese Erzählung an den Anfang dieses Heftes stellen. Einmal, weil sie Mut macht und zweitens weil sie einen Aspekt repräsentiert, den wir nicht berücksichtigt haben. Sozusagen die direkte Anwendung von Kunst in politischen Auseinandersetzungen.
Den Entschluss, dieses Heft dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft zu widmen, fassten wir angesichts der Musiktheater-Eröffnung. Erschreckt hat uns dabei nicht so sehr, dass hier mit Pomp und Gloria ein Repräsentationsbau aus der Taufe gehoben wurde, dass hier die Mächtigen ihre Macht feiern, ja noch nicht mal, dass das Verhältnis zwischen kritischer, nachfragender und in Zweifel ziehender Kunst und affirmativer, die Verhältnisse bestätigender und der Macht huldigender Kunst wesentlich zur Gunsten letzterer verschoben wird. Erschreckt hat uns der Umstand, wie leicht und widerstandslos das ging. Auch wie billig die Phrasen waren, die Offizielle zur Theatereröffnung absonderten hat uns erstaunt. Eigentlich sollte Jürgen Lüpke die Zahlen rund um das Musiktheater darstellen. In seinem Beitrag „Wie es auch hätte sein können“ verpackt er aber dieses (wahre) Zahlenmaterial in erfundene Zitate die er tatsächlich agierenden Personen unterjubelt. Ein sehr amüsant zu lesender Beitrag, der eine/r/m wie nebenbei die Augen öffnet.
Alleine die Kulturplattform Oberösterreich (KUPF) hat sich in einer Sondernummer ihrer Zeitung bemüht auch kritische Stimmen zur Theatereröffnung zu Wort kommen zu lassen. Aber der Tenor dieser Extraausgabe schwankte auch nur zwischen „Schau‘n ma mal“ und „Auch haben wollen!“. Natürlich wäre es verlockend, unter den gleichen Bedingungen arbeiten zu können wie das Musiktheater. Mit automatischen Subventionserhöhungen und bereits vorgesehenen Sonderfinanzierungen.

Aber, einmal angenommen man könnte das erreichen, wäre dann alles in Ordnung? Nein! Denn hier schielen nur die BewohnerInnen eines Elfenbeinturmes neidvoll auf die BewohnerInnen eines noch besser ausgestatteten, noch komfortableren Elfenbeinturmes. Natürlich lässt es einen erschaudern, wie in Oberösterreich die Kulturmittel verteilt werden. Wie viel in Spektakel und Repräsentation investiert wird und wie wenig in das Kunst- und Kulturschaffen von Otto und Emma NormalverbraucherIn. (Das Land sollte überzogen sein von einem Netz an Kulturstätten, die das Schaffen der Menschen unterstützen und nicht ihren Kunst- und Kulturkonsum.) Aber das wirklich beklemmende an der Musiktheater-Eröffnung ist, dass sie in eine Zeit des massiven Sozialabbaus fällt. In der das Finanzkapital gerettet wird und Hauptschulabschlusskurse für Migrantinnen eingespart werden (wie bei maiz). In eine Zeit, in der eine Landesbauordnung beschlossen wird, die die bisher angestrebte Barrierefreiheit wieder zurück nimmt. Eine Zeit, in der das Land Oberösterreich massiven Preisdruck auf Kinderbetreuungseinrichtungen macht, sodass achtzehn Kinder zwischen null und drei Jahren von sieben Uhr Morgens bis fünf Uhr Nachmittags von nur zwei ungelernten Kräften betreut werden müssen. Das sind alles keine Altlasten, sondern neue Standards die nun etabliert werden. Der Skandal der Musiktheater-Eröffnung ist, dass das Musiktheater diese Ungleichverteilung an Ressourcen und zugedachten Lebenschancen symbolisiert. Dafür kann das Musiktheater natürlich nichts, aber es sollte thematisiert werden. Das fordert auch Michael G. Kraft in seinem Beitrag „Kunst Gesellschaft, Politik“.

Aber natürlich ist das Linzer Musiktheater auch ein Lehrstück darüber, wie Politik funktioniert. Wie man es schafft, das Interesse einer kleinen Minderheit als Allgemeininteresse zu etablieren. Phrasen wie „Wohnzimmer von Linz“ oder „Es ist auch euer Theater“ sollten dabei mögliche Widerstände weich spülen. Und wer dann noch meint, meckern zu müssen, der/die wird ganz einfach nieder gebügelt. Daher wurde bei der Eröffnung auch alles daran gesetzt die Menschen zu überwältigen. Sie mit Pomp und Feuerwerk „schmähstad“ zu machen. Eine alte und bewährte Herrschaftsmethode – und ein Form der Gewalt. Wobei es natürlich zu einer Operneröffnung passt. Ist doch die Oper nicht, wie immer wieder behauptet wird, die höchste Kunstform, sondern lediglich jene Kunstform, die sich am besten zur Überwältigung des Publikums eignet. Die Kunstform des Absolutismus eben. Wie man sich dieser versuchten Überwältigung entziehen kann, in dem man ganz einfach seine sieben Zwetschken beisammen hält, zeigt Veronika Moser in ihrem Bericht „Parzival, Wagner und ich“.

Für Theater, das nicht auf Überwältigung setzt sondern sich um zeitgemäße, engagierte und transparente Theaterarbeit bemüht, steht Rudi Müllehner. In seinem Beitrag Hut auf statt Hut ab erfährt man wie die Leute in der Freien Szene „ticken“ und wie sie das Rumpelstilzchen-Kunststück, aus Stroh Gold zu spinnen, immer wieder hinbekommen. Müllehner wird gemeinsam mit Cornelia Metschitzer und Bernhard Mayr im Herbst eine neue Spielstätte der Freien Theaterszene in Linz eröffnen: Tribüne Linz – Theater am Südbahnhofmarkt. Dieses Theater, an der aufgelassenen Spielstätte „Eisenhand“ des Landestheaters, wird bis zu 140 Gästen Platz bieten.
Außerdem gibt es wieder viele wichtige Informationen rund um Radio FRO (etwa was der FRO-Freundeskreis so treibt und wie man da mitmachen kann) und ein sehr bemerkenswertes Sendungsfeature: „Schönen Gruß an die Jajčani“ ist nicht einfach eine Sendungsvorstellung, sondern zeigt auch, mit wie viel Kreativität Problemen, die sich aus Migration ergeben, begegnet werden kann. Und es wird auch klar warum sich Ernisa Beganovic und Zijad Plivac unbedingt einbilden, mitten in der Nacht Radio machen zu müssen.

Erleuchtende Momente und Amüsement beim Lesen wünscht
Andi Wahl

///

Andi Wahl ist Geschäftsführer von Radio FRO.

Zuletzt geändert am 23.05.13, 00:00 Uhr

Verfasst von Silke Müller

Ein Duett aus Radiofeature-Produktion und Illustrationsausstellung hat mein Kommunikationsdesign und Medienstudium abgeschlossen. Seit dem beschäftige ich mich mit der großen, künstlerischen Radioform "Feature", mit Reportagen und Interviews mit KünstlerInnen und Kulturschaffenden.

Ich bin freischaftende Illustratorin für Plakate - zum Beispiel für Radio FRO - Zeitungen, Magazine, Bücher und Ausstellungen. Radiohören geht beim Zeichnen wunderbar.

zur Autorenseite

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden von der Redaktion moderiert. Es kann daher etwas dauern, bis dein Kommentar hier erscheint. Wir behalten uns vor, diskriminierende oder diffamierende Kommentare, sowie solche, die straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, zu entfernen.