Nichtkommerzieller Bürgerrundfunk in Deutschland
von Dr. Klaus-Jürgen
Buchholz, Leiter der Abteilung für nicht
kommerziellen lokalen Hör-funk und Offene Kanäle in der Niedersächsischen
Landesmedienanstalt für privaten Rundfunk (NLM), Hannover
Die medienrechtlichen - und damit auch organisatorischen und finanziellen
- Rahmenbedin-gungen, unter denen der nichtkommerzielle
Bürgerrundfunk in Deutschland arbeiten muss, sind sehr unterschiedlich.
Die konkreten Arbeitsbedingungen sind letztlich immer das Ergeb-nis
insbesondere von unterschiedlichen (partei-) politischen Prioritäten
der einzelnen Länder, die im Rahmen ihrer Kulturhoheit für die
Regulierung
des Rundfunks zuständig sind. Im Ergebnis gestaltet sich die Bürgermedienlandschaft
in Deutschland ebenso plural wie die Medienlandschaft insgesamt.
Bürgermedientypen
Im Verlauf der 90er Jahre, verstärkt ab 1995 hat sich die Zahl
der Bürgermedienprojekte in Deutschland vervielfacht. Dieser Aufschwung
beschränkte sich nicht nur auf rot-grün regierte Bundesländer.
Auch Länder mit konservativen Regierungen haben vermehrt „nicht kommer-zielle
Lizenzen“ vergeben. Auf eigener Frequenz senden zurzeit rund 130 bürgernahe
Radio- und Fernsehprojekte, hinzu kommen die so genannten
Radiowerkstätten, die in Bürgerfunk-fenstern im kommerziellen
lokalen Hörfunk Nordrhein-Westfalens senden. Bundesweit lassen sich
zur Zeit
fünf Typen von Bürgermedien differenzieren:
1. über 70 Offene Kanäle (Fernsehen und Hörfunk),
2. über 30 nicht kommerzielle Lokalradios (inkl. so genannte Freie
Radios),
3. zirka zehn Campus- bzw. Hochschulradios (auch Campus-TV),
4. mehr als zehn Aus-, Fortbildungs- und Erprobungskanäle sowie
5. über 160 in den kommerziellen Lokalfunk integrierte Radiowerkstätten
des NRW-Bürgerfunks.
Auch innerhalb der Bürgermedientypen findet eine weitere Binnendifferenzierung
statt. So lassen sich nach den medienrechtlichen
Vorgaben der Länder allein unter den Offenen Kanä-len (OK)
vier verschiedene Trägermodelle unterscheiden:
1. Der Offene Kanal wird von der Landesmedienanstalt selbst getragen.
Er ist also Teil einer öffentlich-rechtlichen Institution und wird
in
diesem Rahmen aus Mitteln der Rundfunkge-bühr vollfinanziert.
Dieses Trägermodell haben die Länder Berlin, Hamburg, Bremen,
Schleswig-Holstein, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen
gewählt.
2. Der Offene Kanal wird von einer juristischen Person des privaten
Rechts getragen. Im Re-gelfall handelt es sich um eingetragene und als
gemeinnützig anerkannte Vereine, die in unterschiedlichem Umfang
von der zuständigen Landesmedienanstalt institutionell geför-dert
werden. Diese
Form der OK-Trägerschaft findet man in Nordrhein-Westfalen, Nieder-sachsen
und Sachsen-Anhalt.
3. Der Offene Kanal wird vor Ort von einem lokalen Trägervere
in betrieben. Die Unterstüt-zung von Seiten der Landesmedienanstalt
erfolgt
aber nicht in Form eines institutionellen Zuschusses, sondern als Sachleistung
und durch die personelle Unterstützung hauptamtli-cher
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bei der Landesmedienanstalt angestellt
sind. Es handelt sich gewissermaßen um einen Mix des Vereins-
und Anstaltsmodells. Unter diesen Rahmenbedingungen arbeiten die Offenen
Kanäle in Rheinland-Pfalz.
4. Ein OK-Sonderfall ist der so genannte „Bürgerfunk“ in Nordrhein-Westfalen.
Landesweit arbeiten rund 160 Radiowerkstätten in
der Funktion Offener Kanäle im - kommerziellen - lokalen Hörfunk.
Die in der Regel vereinsgetragenen und von der Landesmedienanstalt ge-förderten
Radiowerkstätten sind für die Beratung, Betreuung und Qualifizierung
der Nutze-rinnen und Nutzer zuständig. Gesendet wird in einem täglich
maximal zweistündigen Fen-ster der 44 kommerziellen Lokalradios
Nordrhein-Westfalens, wobei die Chefredakteure der Lokalsender Beiträge
auch ablehnen können. Kennzeichnend für dieses Modell ist
also neben der fehlenden „Frequenz-hoheit“ die nur bedingte Selbstbestimmung
und
Selbstver-antwortung der Produzenten. Die Unterscheidung der Modelle
ist deshalb bedeutsam, weil sich mit den medienrechtlich vorgegebenen Organisationskonstrukten
unterschiedliche Ausstattungen verbinden. Die an-staltgetragenen Offenen
Kanäle verfügen regelmäßig über Jahresetats in
einer Höhe von zirka 400 TDM bis 2 Mio. DM (3 bis 14 Mio. ÖS).
Demgegenüber reichen die Zuschüsse der Lan-desmedienanstalten
an vereinsgetragene Offenen Kanäle im Einzelfall von null Mark bis
rund 700 TDM (zirka 5 Mio. ÖS). Und das hat, natürlich, Konsequenzen
für die programmliche und medienpädagogische
Leistungsfähigkeit. Auch die nicht kommerziellen Lokalradios (NKL)
in Deutschland sind alles andere als ein monolithischer Block. Grob lassen
sich - mit fließendem
Übergang - zwei Pole differenzieren. Der eine Typus verfolgt ein
eher traditionell journalistisches Konzept, die Organisations- und
Arbeitsstrukturen sind stärker hierarchisch angelegt. Projekte
des anderen Typus sind stärker medienpädagogisch ausgerichtet.
Soweit diese
sich als Freies Radio begreifen, haben sie von ihrer inneren Verfassung
einen ausgesprochen basisdemokratischen Anspruch. Freies Radio ist für
sie ein „gesellschaftliches Modell zur eigenverantwortlichen Selbstorganisation“
und ein „emanzipatorisches Gegenmodell“ zu den
bestehenden hierarchischen Strukturen öffent-lich-rechtlicher
und privater Rundfunkveranstalter.
Konvergenz der Bürgermedien
Wenn auch das individuelle Selbstverständnis, die selbstgesetzten
Projektziele, die konkreten Arbeitsschwerpunkte und Angebote
differieren, typübergreifend weisen die Bürgermedien in Deutschland
dennoch eine Vielzahl gemeinsamer Merkmale auf:
1. Die Offenheit bei der Programmgestaltung. Das Maß und die
konkrete Form des Zugangs der Bürgerinnen und Bürger zu Sendeplätzen
(und
Produktionstechnik) ist dabei von Land zu Land und von Projekt zu Projekt
durchaus unterschiedlich.
2. Die Vermittlung von Medienkompetenz. Das meint sowohl die Seite
der Produktion als auch die Seh- und Hörgewohnheiten des Publikums.
3. Die lokale Verankerung der Träger und die lokale, allenfalls
regionale Verbreitung der Programme.
4. Die Nichtkommerzialität. Das heißt, die Programme bzw.
Sendungen sind in der Regel frei von Werbung und Sponsoring.
5. Der zum überwiegenden Teil auch steuerrechtlich verbriefte
Anspruch auf Gemeinnützig-keit. Gemeint ist damit eine Tätigkeit,
die dem
Gemeinwohl verpflichtet ist, die gesell-schaftsorientiert ist, die
nicht zuerst privaten und wirtschaftlichen Zielen dient.
Bürgermedien in Niedersachsen
In Niedersachsen gibt es zwei der fünf oben genannten Bürgermedientypen.
Im Rahmen eines auf fünf Jahre angelegten Versuches, er endet Anfang
2002, sind von der NLM in Niedersach-sen seit 1996 ? drei Offene Hörfunkkanäle
? zwei Offene Fernsehkanäle ? ein Offener Kanal mit Angeboten im Fernsehen
und Hörfunk sowie ? zwei niedersächsisch-bremische OK-Kooperationsprojekte
zugelassen worden. Neben dieser im wesentlichen medienbezogenen
Differenzierung unter-scheiden sich die Offenen Kanäle auch hinsichtlich
ihres regionalen Charakters (städtisch vs. ländlich) und ihrer
konzeptionellen Ausrichtung (starke vs. schwache Programmstrukturie-rung).
Neben den acht Offenen Kanälen sind seit 1996 sechs nicht kommerzielle
Lokalradios in Niedersachsen an den Start
gegangen. Ihre Organisationsstrukturen sind ebenso wie ihre Programmphilosophien
recht unterschiedlich. Während man sich an dem einen Pol an öffent-lich-rechtlichen
Leitbildern des Hörfunks orientiert, steht man am anderen Pol mehr
oder we-niger fest in der Tradition so genannter Freier Radios. Zeigen
erstere eine vergleichsweise stärkere Programm- und Publikumsorientierung,
prägt letztere stärker der Partizipationsge-danke. Die Träger
der niedersächsischen Offenen Kanäle und nicht kommerziellen
Lokalra-dios sind eingetragene und als gemeinnützig anerkannte Vereine.
Lediglich ein NKL hat sich als gemeinnützige GmbH konstituiert. Die
NLM ist in keinem Fall Träger eines Bürgerme-dienprojektes. Sie
fördert diese aber. Im Jahr werden für alle 14 Bürgermedienprojekte
rund sieben bis acht Mio. DM Betriebkostenzuschüsse vergeben (zirka
55 Mio. ÖS). Die niedersächsischen NKL- und OK-Projekte sind
umfangreich wissenschaftlich untersucht worden. Im Rahmen von vier Studien
sind schwerpunktmäßig (1) die Organisation, (2) das Programm
und (3) die Nutzung bzw. Akzeptanz analysiert worden.
Aktuelle Forschungsergebnisse
Was die Organisation anbetrifft, hat sich die Vereinsträgerschaft,
auch in Konfliktfällen, als hinreichend stabil erwiesen. Sowohl die
Produzenten in Offenen Kanälen als auch die (haupt- und ehrenamtlichen)
redaktionellen Mitarbeiter der NKL sind in der Regel sehr zufrieden mit
„ihren“ Projekten. Im Einzelfall problematisch ist die (Gegen-) Finanzierung.
Einige kommen nicht bzw. kaum über die mindestens von der NLM verlangten
zehn Prozent hinaus; andere sind in der Lage, den von der
NLM erhaltenen Zuschuss mit Eigen- und Drittmitteln zu ver-doppeln.
Die inhaltlichen Schwerpunkte zwischen OK und NKL, zwischen Fernseh- und
Hörfunkpro-jekten sind nicht so unterschiedlich, wie man vermuten
könnte. Im Gegenteil, die Themen-hierarchien sind quasi gleich. Den
größten Anteil am Wort- bzw. Informationsprogramm ha-ben kulturelle
Beiträge, gefolgt von Politik/Wirtschaft/Soziales. Auf Rang drei rangiert
die lokale Sportberichterstattung. Zwischen 60 bis 80 Prozent des Informationsprogrammes
ent-fallen regelmäßig auf diese drei Sparten. Die NKL weisen
insbesondere im Vergleich zu den Informationsangeboten
öffentlich-rechtlicher und privat-kommerzieller Hörfunkveranstalter
einen hohen Grad exklusiver Berichterstattung aus. Eher kritisch zu sehen
ist die eher be-schränkte Formen- bzw. Darstellungsvarianz. Rund 70
bis 90 Prozent der Einwohner kennen den Offenen Kanal oder das NKL-Projekt
in ihrer Region. Durchschnittlich 17 Prozent zählen zum so genannten
Weitesten Hörer- bzw. Seherkreis, haben das OK- oder NKL-Programm
innerhalb von zwei Wochen also mindestens einmal
eingeschaltet. Die Stammhörerzahlen reichen von ein bis neun Prozent,
die Tages-reichweiten von ein bis sieben Prozent. Die Akzeptanz ist keine
Frage des Projekttyps. OK und NKL werden vom Publikum nicht unterschiedlich
wahrgenommen. Die wesentlichen, die Akzeptanz bzw. Nutzung fördernden
Merkmale sind:
1. ein nicht zu großes, möglichst „homogenes“ Verbreitungsgebiet
2. ein ausreichend großes Programmvolumen, das regelmäßig
gesendet wird
3. ein vergleichsweise hoher Wortanteil
4. ein vergleichsweise hoher Informationsanteil und
5. ein möglichst hoher Lokalbezug.
Fazit: Die bisher auf Praxiserfahrungen beruhende Vermutung, dass sich
Offene Hörfunkka-näle und nicht kommerzielle Lokalradios inhaltlich-konzeptionell
ähnlicher sind, als von manchen Protagonisten (insbesondere Freier
Radios) „befürchtet“, wird von der niedersächsi-schen Begleitforschung
empirisch untermauert. Mit der
Gründung des niedersächsischen „Landes-verban-des Bürger-Medien
e.V.“, in dem sich - bundesweit erst- und einmalig - alle Offenen Kanäle
und fünf der sechs NKL-Projekte zusammengeschlossen haben, findet
die Annäherung auch ganz praktisch auf Initiativebene statt.
Niedersächsische Perspektiven
In einem Entschließungsantrag forderten die Grünen im Niedersächsischen
Landtag Anfang des Jahres, dass die bisherige Trennung in NKL und OK aufgehoben
wird und beide Elemente zu „Bürgermedien“ zusammengeführt werden.
Eine Forderung, der sich zurzeit auch die ande-ren Parteien anzunähern
scheinen. Bündnis 90 / Die Grünen haben damit eine Position aufge-griffen,
die der niedersächsische Landesverband Bürger-Medien e.V. (LBM)
bereits im Herbst 1999 öffentlich formuliert hatte, weil sich die
bisherige Trennung in NKL und OK in der Pra-xis als nicht relevant erwiesen
habe. Der LBM fordert ein einheitliches Organisationsmodell, in dem Zugangsoffenheit
für jedermann und Redaktionsarbeit in einem sichergestellt werden.
Nicht ohne Grund sieht der LBM im Konvergenzmodell die besten Zukunftschancen,
haben doch die sendepraktischen Erfahrungen der letzten drei bis vier Jahre
gezeigt, dass Alltags-routinen in Organisation und Betreuung und auch
Programmpraxis mehr Gemeinsamkeiten denn Trennendes aufweisen. Die
Ergebnisse wissenschaftlicher Begleitforschung in Nieder-sachsen bestätigen
die Erfahrungen der NKL und OK. Mit dem Antrag der Grünen ist über
die Zukunft der Bürgermedien in Niedersachsen nicht entschieden. Noch
knapp zwei Jahre hat der
niedersächsische Gesetzgeber Zeit, um über das „Ob“ und das
„Wie“ des Regelbetriebs zu entscheiden. Im März 2002 endet der fünfjährige
Betriebsversuch. Die politische Diskussion ist allerdings eröffnet.
Das Konvergenzmodell ist dabei nur eine von mehreren denkbaren Optionen.
Die Alternative zum Konvergenzmodell ist die Fortführung des Dualismus.
Auf Grund der Begleitforschungsergebnisse, insbesondere zu den NKL, ist
damit aber nicht einfach ein Einfrieren des Status quo gemeint. Der Dualismus
macht nur Sinn, wenn insbesondere die NKL ein eigenständiges Profil
stärken würden. Sie müssten sich zu zwei Polen abgrenzen:
Zu den
OK einerseits, zu etabliertem Hörfunk anderer-seits. Die bisher
noch recht allgemein zugewiesene publizistische Ergänzungsfunktion
müsste dann in einen lokalpublizistischen Programmauftrag mit den
Merkmalen inhaltlich-themati-sche Exklusivität, Lokalbezug, formale
Unterscheidbarkeit, Integration und Partizipation kon-kretisiert werden.
Aber: Die Profilierung unterschiedlicher Bürgermedienkonzepte wird
zurzeit kaum mehr dis-kutiert; Konvergenz bestimmt die aktuelle Diskussion.
|