Abstract zum Vortrag am Free Speech Camp, Linz, 7. September 2000 Autor: Paul Murschetz, pmur@pvl.atGruppe: Konvergenzpolitik / EU-Medienpolitik / Netzkulturpolitik
Kurzpräsentation zum Portfolio von PUBLIC VOICE Lab, Wien PUBLIC VOICE Lab (www.pvl.at) ist einer der zahlreicher werdenden Knoten einer neuen Netzkultur in Österreich. Als Internet Service Provider für Kunst- und Kultur und international ausgerichtetes Forschungslabor für neue Medien richten wir unser Engagement auf den sozialen Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. Damit ermöglichen die kreative Nutzung des World Wide Web und treiben die Konvergenz der Medien voran. Daß die ‚Internet-Generation' mehr tut als sich einmal auf dem Heldenplatz auszutoben, müßte mittlerweile auch der neuen Bundesregierung aufgefallen sein. Die im schwarz-blauen Regierungsprogramm angekündigte ‚Digitalisierung des (österreichischen) Kulturgutes' ist zwar generell wünschenswert, wird jedoch in keinem Fall der lebendigen Vielfalt der sich neu formierenden Netzkultur und den Netzknoten und Netzinitiativen, die diese kulturelle Entwicklungen tragen, gerecht. Vorweg, PUBLIC VOICE Lab lehnt eine schwarz-blaue Kultur- und Technologiepolitik ab, die einen kulturellen Status quo ante herbeiführen will und bislang keine Hinweise auf aktive und offensive Unterstützung der vielfältigen Neue-Medien-Szene gezeigt hat. Eine notwendige aktive staatliche Kultur- und Technologiepolitik zur Schaffung eines österreichischen ‚Cultural Backbone' zur Vernetzung der Kunst- und Kulturschaffenden wird dadurch gefährdet. Österreichs Kunst- und Kulturinitiativen haben längst die Notwendigkeit elektronischer Vernetzung erkannt. Droht dem Internet und seinen vielfältigen kommunikativen Möglichkeiten die Vereinnahmung und teilweise Zweck-entfremdung durch rein kommerzielle Anwendungen, wollen Kunst- und Kulturschaffende die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien einer breiten wie kreativen Nutzergemeinde zur Verfügung stellen. So wundert wenig, dass die Aufrufe an kulturpolitischen Verantwortungsträger in der letzten Zeit immer lauter wurden, geeignete Rahmenbedingungen für eine demokratiepolitisch unerlässliche künstlerische und kulturelle Auseinander-setzung mit diesen Technologien und der kritischen Analyse und Diskussion ihrer Auswirkungen einzufordern. Mein Vortrag soll zur kritischen Auseinandersetzung mit zentralen Fragen zu Netzkultur- und Technologiepolitik anregen. Dabei werden zunächst zentrale Punkte der Konvergenzdebatte angesprochen und wesentliche Trends europäischer Medienpolitik beschrieben, um danach auf ihre Relevanz für die österreichische Netzkulturproblematik überprüft zu werden. Von der Einführung neuer Kommunikationstechnologien sind mehr oder weniger das gesamte Kuturschaffen und die gesamte kulturelle Kommunikation moderner Gegenwartsgesellschaften betroffen. Man könnte auch davon sprechen, dass das Kulturschaffen und die kulturelle Kommunikation medial formbestimmt sind. Indem die gegebenen Kommunikationstechnologien das Beziehungsgefüge zwischen Kreation/Produktion, Verbreitung/Distribution und Rezeption mitkonstituieren, bewirken neue IKTs eine Veränderung dieses Beziehungsgefüges. Dieser Prozess des Wandels einer Kultur unter dem Einfluss neuer IKTs, der auch mit dem Begriff der digitalen Mediamorphose umschrieben wurde, beruht ursächlich auf der semantischen Besetzung dieses neuen gesellschaftlichen Kommunikationssytems als Mediamatik (vgl. Smudits 2000: 26). Mediamatik bezeichnet ein Kommunikationssystem der Konvergenz telematischer mit elektronischen Medien. Nach dem ersten Konvergenzschritt in Richtung Telematik, der eng mit der Digitalisierung und Liberalisierung im Telekommunikationssektor verknüpft ist, kommt für den zweiten Konvergenzschritt in Richtung Mediamatik die Digitalisierung des ebenfalls liberalisierten Mediensektors hinzu. Mediamatik ist somit das neoliberale Produkt aus einer Kombination der technischen, ökonomischen und politischen Trends der Digitalisierung, Liberalisierung, Konvergenz und Globalisierung im Kommunikationssektor (Latzer 2000: 29). Konvergenz ist das umstrittene Lieblingswort hauptsächlich der Fernseh- und vor allem der Internetbranche, soll heissen, das Zusammenwachsen beider Medien zu einem, ob Internet oder dem Fernsehschirm, oder Fernsehen auf dem Computer oder beides auf dem Handydisplay oder sonstige Grenzüberschreitungen technischer Natur. Dass es überhaupt zu Konvergenz der Medien kommen soll, ist umstritten. Hingegen ist Divergenz multipler Medienformate und ein cross-over von inhalteadäquaten Distributionswegen weiterhin im Gespräch. Leitspruch der Konvergenzkritiker ist: the Internet will not kill television and it will not become TV either. There are too many good things about television and broadcast for it to be replaced. Konvergenz beschreibt also einen evolutionären Prozess des Zusammenwachsens der ursprünglich weitgehend unabhängig operierenden Bereiche Informationstechnologie, Telekommunikation, Medien und Internet. Der Begriff kennzeichnet die Annäherung der Technologien, die Verbindung der Wertschöpfungsketten sowie das Zusammenwachsen der Märkte insgesamt. So ist offensichtlich, dass die IT-Nachfrage zu einem wesentlichen Teil durch Telekommunikationsanwendungen als auch Medieninhalte vorangetrieben wird, die über Endgeräte und -Plattformen genutzt werden können. Die Triebkräfte der Konvergenz liegen in vier Bereichen: Technologie, Regulierung, Nachfrage und Wettbewerb (ECC 1999: 129). Auswirkungen von Konvergenz - überkommene Regulierungsmodelle werden obsolet Die heutigen Zuständigkeiten für Regulierung werden den laufenden Konvergenz- und Vernetzungsprozessen auf den Medien- und Kommunikationsmärkten immer weniger gerecht. Die überkommene Regulierung wird dadurch bestenfalls wirkungslos, schlimmstenfalls kontraproduktiv. Die Entscheidungskompetenzen sind zu stark verteilt und zu wenig koordiniert. Die Umsetzungsverfahren sind zu kompliziert und dauern zu lange. Damit kann in vielen Fällen nicht mehr das bewirkt werden, was bewirkt werden soll. Eine Aufgabe künftiger Regulierungspolitik wird es sein, für eine Vereinfachung, verbesserte Transparenz und Vernetzung der Zuständigkeiten zu sorgen. Durch die Globalisierung und die Konvergenz der Medien- und Kommunikationsmärkte werden die Anforderungen an die Regulierungsebenen künftig eher zu- als abnehmen. Um die permanente Überforderung zu vermeiden, muss Regulierung zugleich abstrakter, konkreter und experimenteller werden. Die technischen Möglichkeiten und Marktverhältnisse ändern sich in der digitalen Welt schneller als die Regulierung zu steuern vermag. Es entsteht der Eindruck eines permanenten Politikversagens. Als Ausweg aus der Situation bietet sich ein Rückzug aus der Regulierungstiefe an (Deregulierung), bei gleichzeitigem Ausbau einer wirksamen Rahmensetzung für den Fall einer Verletzung wichtiger Eckpunkte. Eine solche Re-Regulierung ist erforderlich für das europäische und nationale Wettbewerbsrecht, Urheberrechte, Jugendschutz, Datenschutz und Verbraucherschutz (ECC 1999: 18f.). Die mit der Konvergenz verbundenen Regulierungsprobleme lassen sich pointiert folgendermassen zusammenfassen: Während die Kommunikationswirtschaft bereits in die Ära der Mediamatik eingetreten ist, bleibt die Politik noch weitgehend der traditionell getrennten Sichtweise von Telekommunikation und Medien verhaftet. Die in Wissenschaft und Politik etablierte und praktizierte Dichotomie von Rundfunk und Telekommunikation ist aber zunehmend obsolet. Die sogenannten "Neuen Medien" - die jahrzehntelang verwendete Bezeichnung als "Neu" signalisiert bereits die analytische Hilflosigkeit bezüglich Konvergenz - lassen sich weder der Telekommunikation noch den Massenmedien eindeutig zuordnen. Daraus folgen Probleme in der analytischen Erfassung des Umbruchs im Kommunikationssektor, Unklarheit über politische Zuständigkeiten und v.a. Rechtsunsicherheit für Unternehmen im Hoffnungsmarkt Mediamatik, da die zunehmende willkürliche (interessen)politische Kategorisierung in Telekommunikation oder Rundfunk auch mit unterschiedlichen nationalen und transnationalen Markteingriffen (Regulierungen) und folglich mit unterschiedlichen Marktbedingungen verknüpft ist (Latzer 2000: 35). Die augenblicklich in Europa vorherrschende Argumentation lässt sich charakterisieren mit den Begriffen: Vertrauen in den Markt und Wettbewerb, konsequente Deregulierung und Vereinfachung der Rechtsanwendung, Vorrang von Selbst- vor Fremdregulierung. Diese Entwicklungstendenzen einer neo-liberalen Regulierung deuten vor allem in Richtung eines schlankeren Staates. Dies ist zum einen beabsichtigt - etwa durch den Rückzug aus operativen Aufgaben oder durch vermehrte Selbstregulierung - zum anderen aufgrund der Verlagerung der Regulierungskompetenzen auf die europäische und internationale Ebene, woraus eine Beeinträchtigung der Steuerungsmöglichkeiten nationalstaatlicher Akteure resultiert. Aber auch auf der supranationalen Ebene vollzieht sich ein Rückzug etwa mittels verstärkter Selbstregulierung. Dieser Rückzug geschieht nicht ganz freiwillig, sondern vielmehr da Konvergenz, Globalisierung und rascher technischer Wandel die zentralistische Regulierung an ihre Grenzen stossen lassen. Nichtsdestotrotz ist offensichtlich, dass die Europäische Kommission als aktiver politischer Regulator in die beschriebenen Transformationsprozesse eingreift. Allein das Volumen förderpolitischer Strategien, Instrumentarien und Massnahmen zeigt, wie ernst es die EU mit technology-push Programmen zur Konvergenz in Richtung Mediamatik meint: z.B mit dem laufenden 5. F&E-Rahmenprogramm in Information Society Technologies (IST), das die Kommission mit 3,6 Milliarden Euro für den Zeitraum 1999 bis 2002 fördert (bzw. mit 12.5Mrd Euro die Vorläuferprogramme ESPRIT, RACE, Telematics, und ACTS gefördert hat). Für Netzinitiativen und knoten ist nun ratsam, die Ausarbeitung von alternativen, multi-modalen Finanzierungsstrategien für Netz-Anbindung abseits politischer Vereinnahmung (‚cutting-out-the-middlemen'-Strategie) zu suchen. Es ist fast naturgemäß im Interesse des Staates, Netzkultur zu fördern. Einerseits wird die kreative Benützung des World Wide Web angeregt, was mithin auch den Tourismus ankurbelt und NetzkünstlerInnen einen Broterwerb ermöglicht, und andererseits wird politische Kontrolle möglich. Unterstützt der Staat einen lokalen Kulturserver wie Public Netbase (und die Bundeskunstsektion tat dies 1998 tatsächlich zu 40% der Aufwendungen), ergibt sich daraus unter anderem die Möglichkeit, künstlerische und kulturelle Aktivitäten zu kontrollieren. Bob zynisch: "Man subventioniert diese Leute und weiß dann, wer sie sind, wo sie sind, was sie machen und, wenn es hart auf hart geht, sperrt man den Laden einfach zu." Dies sollten auch die Subventionsempfänger wissen, die ihre Toleranz durch den Staat um den Preis dieser Kontrolle ‚erkaufen'. Das Problem liegt nach Bob auch darin, daß die Förderung von lediglich drei Webservern, die etwa tausend Accounts hosten können, dem Ansturm der Wiener Kunst- und Kulturschaffenden auf preisgünstigen Internetzugang nicht mehr gerecht wird. Die Förderung eines basissubventionierten artist-run space wie Public Netbase reicht eben nicht mehr aus, und so müssen bestehende Fördermodelle ausgeweitet werden, z.B. sollte der Staat die kostengünstige Anbindung regionaler Netzknoten an das Wissenschaftsnetz Aconet unterstützen. Und zudem müssen neue Fördermodelle angedacht werden. Ein Paradigmenwechsel ist demzufolge im Museumsbereich nötig. Ein Museum, das sich moderner Kunst widmet - und dazu gehört Netzkunst nun mal -, muß sich in die Pflicht nehmen und als Kunstserver aktiv Zugangsengpässe für Künstler erleichtern und Web-space anbieten. Würden diese Häuser aber weiterhin von wertkonservativen Sammlerpersönlichkeiten geführt, würden Netzkünstler bloß ‚gesammelt': d.h. sie werden an den Museumsbetrieb gebunden, was aber nicht möglich ist, da man Netzkunst nicht besitzen kann. Net art ist zentrumslos und nicht kontrollierbar und steht in Widersprüchen zur Kunstpraxis eines Museumsbetriebs. Nicht zuletzt verweist Bob auf erfolgreiche Kunstförderung in seinem Vaterland Kanada. Dort offeriert das Canada Council for the Arts (www.canadacouncil.ca), ein nationaler, von Künstlern verwalteter Beirat, der mit dem kanadischen Parlament auf arms-length-Distanz steht, umfangreiche Produktions- und Vertriebsförderung für Künstler, Organisationen und unabhängige Initiativen in den Bereichen Film, Video, neue Medien und Audio. Zudem unterstützt das Council Festivals, fördert die Anschaffung von Hardware, refundiert Reisekosten und leistet Beiträge zur Deckung der Betriebskosten von Netzkunstproduktionen. Robert Adrian X zufolge kommt das österreichische Bundeskuratorenmodell der kanadischen Förderpraxis sehr nahe und ist daher weiterzuentwickeln. Den dafür notwendigen Bundeskurator für neue Medien wird es aber unter der jetzigen Regierung aller Voraussicht nach nicht geben. |