Gekommen, um mich zu beschweren…
von Günther Hopfgartner ///
Arabischer Frühling, Occupy-Bewegung, Protestsongwettbewerbe, TierschützerInnen, NGOs, NPOs und was da noch so kreucht und fleucht sie alle bewegen sich nur in vom Neoliberalismus abgezirkelten Gedankenwelten. Unfähig, über das bestehende System hinauszudenken, kommen sie trotz aller Anstrengungen nicht wirklich vom Fleck. Das zumindest meint Günther Hopfgartner in seinem Beitrag. Aber er sagt uns auch, was es braucht: Mehr Punk!
„Wir kommen, um uns zu beschweren!“ – Wie da in den Anfangsjahren der Hamburger Band „Tocotronic“, postpubertär bestimmt, „der Welt dort“ ein „Ich hier“ entgegengehalten wurde, geht das heute gar nicht mehr. So zumindest die Behauptung der Band in aktuellen Statements, mal in Interviewform vorgebracht, mal in diversen Songs ihres jüngst ein Jubiläum feiernden Albums „Wie wir leben wollen“.
Weil sie so jung wie damals nicht mehr zusammenkommen? Nicht deshalb, meint Dirk von Lotzow, Sänger der Band, im Interview mit dem hiesigen Jung-Hipster-Staatsfunk, es gehe vielmehr um Emanzipation. Die allgemein menschliche wie auch die ganz persönliche. Das neue Tocotronic-Album sei auch nicht in erster Linie aus dem Protest hervorgetreten, sondern eher einem emanzipatorischen Impetus verpflichtet.
Wer wollte daran schon herummäkeln? Ich und hier!
Mein Argument ist nicht, dass die Hamburger Jungs schon alt aussehen, ich will auch kein dröges Sell-Out-Geraune vorbringen, vielmehr behaupte ich: Es kam, wie es kommen musste, weil die Band – for good and for bad – eben ist, was sie ist: der Big-Wave-Surfer des Emo-Jugendzimmers. Und die Welle, die sie gerade reiten, beherrscht tatsächlich alle sieben Weltmeere (nicht nur) der anintellektualisierten Jugend/Sub/Junggebliebenen-Kultur.
So wurde etwa aus der trotzig-auftrumpfenden Behauptung der globalisierungskritischen Bewegung – „Eine andere Welt ist möglich!“ – in den vergangenen Jahren die wimmernd-menschelnde (Selbst)behauptung der Occupy-Bewegung: „Wir sind die 99%“. Und das filed derzeit under „Widerstand“. Und zwar flächendeckend.
Trotz Arabischen Frühlings und Griechischen Aufstands randaliert der widerstrebende Teil des Weltgeists derzeit fast ausschließlich im Hamsterrad des Möglichen, welches eben – schlag bei M. Thatcher nach – keine andere Welt, sondern bestenfalls ein neumöbliertes Eigenheim sein kann.
Ein mal eskapistischer, mal nihilistisch vorgetragener Protest gegen alles und jeden – und insofern auf das Ganze zielend (das, wie schon Theodor Wiesengrund Adorno wusste, das Falsche ist) – ist dieser Tage nicht einmal im Rahmen der allumfassenden Pop-Retro-Mania zu haben.
Warum? Weil nicht sein darf, was nicht sein kann. Entsprechend markiert das, was ist, den Horizont dessen, was sein soll. Und das neoanarchistische Emanzipations-Geraune diverser Widerstands-SpezialistInnen der Indignados („Empörte“ – bezeichnet die Proteste in Spanien 2011/12, Anm. d. Red.) und OccupistInnen erweist sich bei genauerem Hinsehen auch wieder nur als Liberalismus mit menschlichem Anlitz.
Die Gründe für diese Tendenzen sind – wenig überraschend – vielfältig, weisen in jedem Fall aber eine Schnittmenge auf, die man als verkümmerten Möglichkeitssinn identifizieren kann/muss. Spätestens mit dem Zusammenbruch der in Unehren ergrauten sozialistischen Staatengemeinschaft wurde jede Idee von einer tatsächlich anderen Welt suspendiert. Entsprechend verkam auch der Widerspruch zur damals aufsehenerregend zeitgeistigen These des US-Politologen Fukuyama, das Ende der Geschichte sei angebrochen und der Kapitalismus habe sich als letztgültige Gesellschaftsform etabliert, zur akademischen und publizistischen Fingerübung einer desillusionierten Rest-Linken. Aufbrüche sehen jedenfalls anders aus.
Wohin aufbrechen und wie?
Es wäre eine lohnende Aufgabe für eine kulturlinke und/oder soziale Bewegung, das „Wohin“ zu diskutieren (wenn schon nicht letztgültig zu klären) – sofern sie sich dabei nicht an die Ge- und Verbote bzw. Grenzen des herrschenden, mittlerweile doch recht totalitären, Zeitgeists hält.
Um aber überhaupt einmal in die Position zu gelangen, den Schritt über den Horizont des Möglichen hinaus zu wagen, muss zunächst all der ideologische Müll entsorgt werden, den Jahrzehnte neoliberaler Hegemonie (und deren Sozialdarwinismus und Fatalismus – „There is no alternative“) am Rande des gesellschaftlichen Möglichkeits-Horizonts aufgetürmt haben.
Diese Müllentsorgung erledigt freilich weder das Neobiedermeier-Cocooning (Tendenz, sich in das häusliche Privatleben zurückzuziehen, Anm. d. Red.) des emanzipierten Bildungsbürgertums, noch die medienwirksame Bedenkenträgerei von NGOs und diversen aktuellen Bewegungshoffnungen.
Es bräuchte zuallererst die Wiedergewinnung einer Haltung, wie sie etwa die Musiker/Autoren Platzgumer/Neidhart, in deutlicher Abgrenzung zum eingangs zitierten Credo der „neuen“ Tocotronic, in ihrem Essay „Musik=Müll“ beschreiben: „Punk war die Müllabfuhr, die Rettung, der Restart-Button. Endlich räumte jemand radikal auf, so unfair er auch agierte. Punk ging über Leichen und war stolz darauf. No Past und No Future forderte er, lebte er. Alles wurde als reaktionär eingestuft. Melodien: pfui. Rhythmus: pfui. Akkorde, Songwriting: weg damit. Wie dringend hätten wir heute eine Müllabfuhr nötig!“
Günther Hopfgartner dealt mit Alkohol und lauter Musik in Wien und kommentiert Fußball, Politik und Pop, wo immer man es zulässt.
Zuletzt geändert am 04.03.13, 00:00 Uhr
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