Ghostradio. Tonart Zufall = Rauschen
von Pamela Neuwirth // Nachts für ganze zwei Stunden weißes Rauschen on air zu bringen, ist hörtechnisch sicher eine Zumutung. Rauschen weicht von all dem ab, was uns gesprächig macht: Sprache, Text, Zeichen. Rauschen ist maximale Information, das Chaos oder Zen im All.
Die Gründe, warum sich Hörerinnen und Hörer stundenlanges Rauschen im Radio antun könnten, liegen in der politischen Dimension dieser Arbeit. Ghostradio verhandelt die Themen Verschlüsselung (Kryptografie im Internet), Überwachung, Autonomie und Freiheit. Es ist für uns mehr Glück als Zufall, hier im Freien Radio FRO gelandet zu sein, beziehungsweise nomen est omen: Das Projekt Ghostradio basiert auf Radiotechnologie.
Überwachung und Unvernunft
Die Kybernetik – die Wissenschaft der Steuerung und Regelung von Maschinen, lebenden Organismen und sozialen Organisationen – ist heute allgegenwärtig und zeichnet sich durch Kontrolle und Effizienzgläubigkeit aus. Wir von Ghostradio sehen darin ein gesellschaftliches Glaubenskonstrukt, was die Wissenschaften selbst sowie den Glauben an Technologien betrifft:
Die Realität, auf die wir alle uns geeinigt haben, ist zum Beispiel an den Glauben an diverse fiktive Konstanten gekoppelt. Über die klassische Systemtheorie, die sich aus der Kybernetik entwickelt hat, sind wir weiter in den Realitätsbegiff eingetaucht: Geisterjäger glauben an die Existenz von Geistern. Die Physiker*innen am CERN glauben an Geisterteilchen oder die Stringtheorie. Wir sind zur Erkenntnis gekommen, dass das kybernetische Weltbild tief in den Gesellschaftskörper eingedrungen ist. Der Systembegriff ist derart populär und in der Alltagssprache angekommen, dass es heute normal ist, vom Gehirn als Speicher zu sprechen, so als handelte es sich um eine Fleischmaschine. Im kybernetischen Sprech werden Menschen aufgrund ihrer Irrationalität als nicht-triviale Maschinen bezeichnet.
Diese Unvorhersehbarkeit durch die Irrationalität des Menschen greifen wir auf. Wir denken, dass im Bereich der Träume, oder durch Drogen, die Grenzen der Logik durchlässig werden. Das Unvorhersehbare, das Nicht-Rechenbare und das Unerklärbare können Taktiken sein, um – jenseits von Kontrolle und Überwachung – Privatheit im Netz zu ermöglichen. Dafür ist uns jedes Experimentieren am Rande des Universums recht.
Zeitfalle und Doppelgänger
Wir sehen die Existenz von Zufall kritisch, zumindest in der kausalen Welt. Daher suchen wir Auswege aus der Kausalität, der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung. Zunächst kann man sagen, dass die Arbeit mit Radiowellen Sinn macht, da sie sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten. Am Rande des Universums liegt eine Grenze der Kausalität.
Mit dem Projekt Ghostradio versuchen wir, andere Parameter in die rationale Welt der Informationstechnologie und Kryptografie zu bringen, um diese für individuelle Standpunkte, Freiheit und Autonomie einzusetzen. Der Name Ghostradio ist in Anlehnung an die frühen Geisterjäger entstanden, die versucht haben, erste technische Abläufe und Gerätschaften einzusetzen, um Bilder und Töne der Verstorbenen zu erfassen.
Wir beziehen uns aber nicht auf diese Anomalien, sondern spielen mit den Vorstellungen des Multiversums, eines mehrdimensionalen Raums. Ghostradio basiert auf Feedbackschleifen und Quanteneffekten, die eine Zeitfalle generieren. Ein Informationsüberfluss in Form von Rauschen tritt zutage, der einen Wechsel in einen Parallelwelt erlaubt. Derselbe Plot, aber eine abweichende Geschichte: die des Doppelgängers, des Geistes.
Das Unvorhersehbare wenden wir in der Kryptografie an, denn wir sehen in der Verschlüsselung, wie sie derzeit im Internet passiert, ein Problem. Die Anwendung mathematisch ermittelter Zufallszahlen für die Kryptografie unterliegt nicht nur wissenschaftlichen und ideologischen Standpunkten, sondern auch kommerziellen Interessen. Dass die Verschlüsselung von Daten unter diesen Bedingungen seriös sein soll, ist ein Glaubensansatz, der uns fasziniert hat.
Geneigte Hörerinnen und Hörer des Rauschens auf Radio FRO können bei Gelegenheit selbst Zufallszahlen unter www.firstfloor.org/ghostradio/web/random.html ermitteln.
Ghostradio hören: jeden 3. Dienstag im Monat, 22-24 Uhr
// Pamela Neuwirth ist Kulturarbeiterin, Autorin und freie Journalistin in Linz.
Zuletzt geändert am 24.11.14, 00:00 Uhr
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