Ich glaube an die Macht des Publizierens. Nur nicht ablenken lassen.
Wohin geht es mit den Freien Medien? Was bringt uns die Zukunft. Und: Was ist zu tun? Nahezu 20 Jahre beschäftige ich mich mit diesen Fragen,
theoretisch und den überwiegenden Teil davon auch praktisch. In Gesprächen, Artikeln und Statements, nachzulesen auf www.otre.at, habe ich stets einen (selbst)kritischen, manchmal spöttischen Ton angeschlagen.
Text: Otto Tremetzberger // Foto und Grafik: dorf tv
Ich habe den „Freien Medien“ geraten, nicht immer „nur dagegen“ zu sein. Nicht nur „im eigenen Saft“ zu schmoren. Immer auch das (kommerzielle) Umfeld, den sogenannten „Markt“ zu verfolgen, die Branchenblätter zu lesen, darüber nachzudenken und sich zu fragen: Was heißt das für uns? Wie – und kann man denn überhaupt – entgegensteuern? Ich habe empfohlen, die „Kommerzialisierung“ nicht blind zu verteufeln, sondern auch zu verstehen wie andere ticken, und nicht zu glauben, das gehe einen gar nichts an, weil es dann doch, bewusst und unbewusst, etwas mit einem macht. Ich habe geraten, nicht bloß „zu tun“, sondern sich der eigenen, der bestehenden und einer möglichen zukünftigen Rolle innerhalb der medialen (und politischen) Landschaft stärker bewusst zu sein und darüber nachzudenken: Wo steht man? – „Positionierung“. Dafür reicht es nicht, trotzig den Kopf in den Sand zu stecken und einfach zu behaupten, „anders“ zu sein. Und natürlich: Mehr in die Öffentlichkeit zu gehen, in die gesellschaftliche Breite, raus aus dem mitleidigen Freie-Szene-Winkel und der eigenen schleichenden Institutionalisierung, der „Prokrastination“ entgegenzuarbeiten, mit Humor, Selbstkritik, mit Kunst …
Und – obwohl ich persönlich eher an John Carpenter glaube, als an Woody Allen: Vorsichtig optimistisch sein!
Es ist den Freien Medien in Österreich auch schon einmal deutlich schlechter gegangen. Jedenfalls aber „wachsam bleiben“ angesichts der gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, und überhaupt diese „Entwicklungen“ – die Digitalisierung, Medienwandel … – nicht verschlafen. Das alles kann freilich schief gehen. Oft geht es schief. Nun, ich habe meine Meinung nicht sonderlich geändert. Es macht also keinen Sinn, sich zu wiederholen.
Was gibt es noch zu sagen? Vor allem Eines: Ich glaube an die Macht des Publizierens. Veröffentlichen, zumal für andere, vielleicht sogar für viele, ist Macht. Theoretische Macht. Praktische Macht. Gefühlte Macht. Individuelle Macht. „Selbstermächtigung“. Aber „Macht“ ist hier nicht Thema. Wir wollen nicht ins Pathetische abgleiten, sondern einen Standpunkt argumentieren. Publizieren? Nun könnte man einwenden: Erstens: In Zeiten von Facebook, Twitter und täglich mehreren Zehntausend Online-Kommentaren auf der DerStandard.at könne heute ohnehin jeder unzensiert und ungefragt seine Meinung veröffentlichen. Zweitens: Gedruckte Zeitungen, klassisches Radio und Fernsehen brauche man, heißt es dann oft, dazu gar nicht mehr. Ersteres gilt – leider, wie wir aus den „Sozialen Medien“ wissen – auch für die allergrößten Hasser. Wer hätte gedacht, dass der algorithmusbefeuerte „Hass im Netz“ einmal zum beherrschenden Business- und Politikmodell würde. Letzteres, dass man die alten Medien nicht mehr brauche, ist bekanntlich eine Fehleinschätzung.
Wer heute auf Facebook seine Meinung postet, tut dies nicht nur unter „friends“, er tut dies in der Regel in einem deutlich kleineren Kreis. Die Allermeisten, die heute das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen öffentlich digital beweinen, tun dies innerhalb ihrer „Filterblase“, die man ihnen als „Weltkugel“ verkauft. Man muss zudem davon ausgehen: Je mehr sich die Kommunikation und der Medienkonsum (und also auch „der Diskurs“) in die „digitale Sphäre“ verlagert und die „vier Apokalyptischen Reiter des Internets“– Google, Facebook, Twitter, Amazon (ist das noch ironisch?) – über einen Bescheid wissen, um so enger wird sich der Kreis schließen.
Und es werden – in der Werbesprache spricht man vom Vermeiden von „Streuverlusten“ – eines nahen Tages überhaupt nur noch jene medialen Inhalte bei Ihnen und auch bei mir ankommen, von denen eine Rechenmaschine annehmen wird, dass sie Ihren oder meinen Interessen entsprechen. Und diese auf eine uns unbekannte Weise gefilterten Informationen dienen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht der „demokratischen Meinungsbildung“, dem „zum Nachdenken anregen“, dem „Klüger-werden“, sondern ausschließlich der „Monetarisierung“, dem Kauf und Verkauf von Irgendetwas, von dem oft niemand genau weiß, was es eigentlich sein soll (entsprechend viel- und nichtsagend sind die „Nutzungsvereinbarungen“).
Kommerzialisierung. Personalisierung … Das war schon immer so, lässt sich einwenden. Aber eine Zeitung, die man durchblättert, Fernsehen und Radio, das man durchzappt, bieten auch Inhalte, die einen gar nicht interessieren: Inserate und „Spots“, die über Produkte informieren, die man gar niemals kaufen würde. Darin unterscheiden sich die traditionellen (Freien) Medien von ihren disruptiven Gegenspielern im Netz: Dass sie Inhalte nicht auf Teufel komm raus personalisieren, dass sie über Autoradio und Kabelfernsehen theoretisch und praktisch auch solche erreichen, mit denen man nicht zwingend einer Meinung sein muss.
Im Fall der Freien Medien kommt dazu, dass der „Offene Zugang“ per se bereits eine Meinungsvielfalt ermöglicht, die man in kommerziellen und öffentlich-rechtlichen Medien vergeblich sucht.
Allgemeine medienrechtliche und auch die selbstformulierten inhaltlichen Korrektive („Charta der Freien Radios“) ändern nichts daran. Vor dem Hintergrund dieser hier nur angerissenen Überlegungen ist das fleckerlteppichartige Programmschema von Radio FRO kein Ausdruck von „Schwäche“, sondern, ganz im Gegenteil, von „Stärke“ und eben im Kern Sinnbild jenes „Marktplatzes an Meinungen“, der uns im Netz längst nur noch vorgegaukelt wird.
Kurzum: Die Freien Medien sind nicht so einfältig, zuordenbar und eingeschränkt, wie manche es ihnen nachsagen.
Und: Sie erreichen Menschen, mit denen sie wahrscheinlich selbst niemals gerechnet hätten, die ein „unabhängiger“ Algorithmus sicherlich niemals auf ihre Spur brächte.
Wie? Zum Beispiel beim Zappen im Kabel … old school Medienkonsum! Das zu überprüfen ginge ganz einfach: Fragen Sie zum Beispiel in der Sauna nach dorf tv. Niemand hat dort (hoffentlich) sein Smartphone bei der Hand. Aber ich bin sicher, Sie werden auch so eine Meinung hören, Zustimmung, Kritik, Verständnis, Unverständnis: „Hin und wieder ist was dabei“ oder „Manchmal bleibt man hängen“.„Am Ton muss man noch arbeiten.“ Jedenfalls werden sie ein Gespräch führen, dass auf ihrer „Timeline“ niemals stattfände, weil Sie dort niemals auf diese Leute stoßen. Einige von Ihnen werden einwenden: Warum soll ich das? Warum mit meiner Sendung auf FRO oder dorf tv irgendwelche Leute erreichen, vielleicht Nörgler, vielleicht Ignoranten, möglicherweise Rassisten, bestimmt Kulturbanausen – Leute, die meine Meinung und meine Inhalte ablehnen, ja diese vielleicht sogar bekämpfen oder eben bekämpften, wenn sie nur davon wüssten. Nun, diese Frage hat ihre Berechtigung. Wer will – und zwar Sie und ich genauso – schon einen „Stachel im Fleisch“? Wer will (schon aus psychohygienischen Gründen) sich freiwillig der Ablehnung, der Nörgelei, möglicherweise dem „Hass“ aussetzen?
Aber auf der anderen Seite: Was nützt es, zu publizieren, zu veröffentlichen – wenn man damit bloß „freie Menschen“ erreicht. Unter sich zu bleiben. In der eigenen Blase. Im eigenen Saft. Unter einer bald tatsächlich vollkommen eigenen Käseglocke. Spätestens nach Trump werden Sie zugeben müssen: Nichts! Denn es geht auch um die „Anderen“. Die da draußen, die wiederum in ihren eigenen gleichgeschalteten Blasen existieren und kommunizieren und „powered by“ Facebook und Twitter sich in ihrem Unsinn gegenseitig ver- und bestärken, ohne jemals mit einer anderen Meinung, einer „anderen Sichtweise“ konfrontiert zu werden.
In diesen Filterblasen wird es keine Zufälligkeiten und keine Widersprüche geben. Und für vieles wird man bezahlen müssen.
Wer also glaubt, dass „Freie Medien“ – wie Radio FRO, wie das Freie Radio Freistadt, wie dorf tv, wie das Cultural Broadcasting Archive (CBA) – in Zeiten der sozialen Gratismedien ihre Bedeutung verlieren, wer in Sachen Meinungsäußerungsfreiheit auf Facebook wettet und wer noch dazu glaubt, dass man in naher Zukunft keine eigenen autonomen Strukturen, Techniken, Kanäle, Softwarelösungen, Plattformen, Datenserver … und so weiter mehr brauchen würde, der irrt gewaltig.
Und außerdem: Es macht nicht nur Sinn, sondern auch große Freude zu publizieren.
Otto Tremetzberger ist Mitbegründer und kaufmännischer Leiter von dorf tv und Freies Radio Freistadt sowie Schriftsteller, zuletzt erschienen: „Die Unsichtbaren“, Roman. www.otre.at
Zuletzt geändert am 14.12.16, 00:00 Uhr
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