Kursorische Notizen zu Kultur, Politik, Szenen, Subvention
von Didi Bruckmayr ///
Szenen sind soziale Netzwerke mit spezifischen kulturellen Inhalten, die sich in unterschiedlichem Maße an der
Marktwirtschaft beteiligen. Die Dichotomie Hoch- versus Populärkultur existiert im 21. Jahrhundert nur mehr aus subventionspolitischen Gründen. Hierbei wird die bürgerliche Elitekultur mit zugewiesener identitätsstiftender, bewahrender, wertkonservativer Funktion als nicht-
kommerziell und dezidiert subventionswürdig betrachtet. Diese wird zusehends eine museale Veranstaltung.
Das Publikum rekrutiert sich mehrheitlich aus Erwachsenen, welche den gebildeten urbanen Mittelschichten und Eliten aus Wirtschaft und Politik angehören. Hinzu gesellen sich Autobusladungen von rüstigen PensionistInnen mit Abonnements aus der ländlichen Provinz und in der Festivalsaison von Mörbisch bis Bregenz wohlhabende TouristInnen. Der Anteil von Jugendlichen und MigrantInnen ist gering bis inexistent. Es handelt sich hier mehrheitlich um die an der Pensionsgrenze stehenden KernwählerInnenschichten der beiden Großparteien. (Ein kleiner Hinweis: Trotz Senkung des Wahlalters lag bei der Landtagswahl 2009 in Oberösterreich das Durchschnittsalter der Wahlberechtigten bei 48 Jahren. Vgl. Wahlberechtigte, in: http://de.pandapedia.com/wiki/Landtagswahl_in_Oberösterreich_2009#cite_note-sigl-5.)
Kein produktiver Austausch zwischen den Kulturen
Als langjähriger Akteur auf Bühnen von freien Theatern, Bundes- und Landestheatern sowie auf Club- und Festivalbühnen der Popkultur und als zeitweiliger Shitworker in den Marketingabteilungen von Ö3 und FM4 behaupte ich, dass es zwischen genannten Kulturen keinen produktiven Austausch gibt. Die Hochkultur kauft ab und an Personen, Klänge, Bilder und Zeichen für Distinktionsgewinn und Verzierung ihrer etablierten Formen. Die entkontextualisierten Pop-Ornamente funktionieren in den seltensten Fällen und hinterlassen auch keine produktiven Spuren. Ausnahmen sind Jugendtheater, diverse Tanz- und Performancehäuser sowie Festivals. Und die Popkultur sowie die daraus abgeleiteten Jugendkulturen als hoch-kommerzielle, dynamische Freizeitkulturen der Jugendlichen, jungen Erwachsenen und „Berufsjugendlichen“ haben kein vitales Interesse an der Hochkultur. Diese ist sozial selektiv. Ihre beschworene identitätsstiftende Wirkung für die österreichische Kulturnation verpufft bei verstärktem migrantischen Hintergrund der StaatsbürgerInnen. Die Teilhabe an der Hochkultur ist auch schon lange kein schickes Indiz für gesellschaftlichen Aufstieg mehr. Und die Vorteile einer mitunter mühsamen ästhetischen und intellektuellen Zurüstung wurden unglaubwürdig, weil Politik und erwachsene Gesellschaft über lange Zeit selbst wenig Interesse für Bildung und Kultur zeigten. Darüber hinaus geht die mediale Reflexion der Hochkultur in Print und Kultur-TV völlig an popkulturellen Zielgruppen vorbei.
Die moderne Popkultur bildet rigoros den Kapitalismus ab
Großkonzerne, Medienanstalten, Banken, Agentur-Oligopole, internationale Investoren als Betreiber von Club- oder Großraumdiskotheken buhlen neben kleinen, spezialisierten Privatunternehmen um eine genreflexible, konsumfreudige KäuferInnenschicht, die signifikanterweise aber auch als ProduzentIn tätig wird. Die Top Drei der österreichischen jugendlichen Freizeitkulturen stellen Fitness, Musik und Games dar. Innerhalb der Musik dominieren bei 16- bis 19-Jährigen die Genres Pop und Rock. (Vgl. tfactory 2011: Timescout Welle 15, rep. Für 11 – 39-jährige Trendsetter und Early Adopter.) Es folgen House als Sound von David Guetta, internationaler Hip-Hop, RnB, DnB und Techno. Das sind die elektronischen Tanzmusiken der ClubgeherInnen und Großraum-AbtänzerInnen. Genannte Genres laufen in den Hitradios und beschallen als Remixes die großen Fitnessketten wie Fit In sowie Computerspiele. Konsequenterweise konzentrieren sich im kleinen österreichischen Markt mehrere große Festivals mit beachtlichem Erfolg auf genannte Genres und Zielgruppen und strotzen vor Raika Club-Logos. KleinveranstalterInnen bleibt nur mehr die Nische und auch diese ist immer schwerer finanzierbar. Der kommerzielle Ansatz führte zu einer Kompromittierung der Inhalte sowie der innovativen Potenziale und des Weiteren zu Animositäten. So ist Bass im Theater prolo, 3D-Video ist Bildschirmschoner oder Computergame und gehört auf kein Filmkunstfestival… Hinzu kommt, dass rechtspopulistische PolitikerInnen die Großraumdisko und den Club für breitenwirksame Auftritte nützen. Und bei den Nationalratswahlen 2008 wählten die 16- bis 19-Jährigen immerhin mehr rechtspopulistisch als grün. (Vgl. ErstwählerInnen-Nachwahlbefragung des Instituts für Jugendkulturforschung zur Nationalratswahl 2008, S.2.) Der Trend setzte sich bei Landtagswahlen leicht abgeschwächt fort. Die Popkultur liefert nicht zwingend den Soundtrack für politisch-liberale Gesinnung.
Ihr habt alles falsch gemacht
Das utopische und reformistische Potenzial der Popkultur steckt in den heterogenen Kulturinitiativen, welche von der Kulturpolitik konsequent schlecht behandelt werden. Denn diese ist grundsätzlich nicht an Inhalten, sondern an ihren KernwählerInnenschichten interessiert. Symptomatischerweise agieren als kulturverwaltende PolitikerInnen Betriebswirte mit ÖH-Vergangenheit, Ex-BankerInnen, treue Parteikader und KlientelistInnen. Als regionale Vermittler fungieren feingeistige RätInnen mit Interesse und Verstand, aber ohne Budgethoheit. Die unerfreulichen Ergebnisse von Studien und Bedarfserhebungen werden in Beiräten langjährig diskutiert und redlich protokolliert. Ab und an macht sich ein strenger Herr / eine strenge Dame aus Wien auf in die Provinzen zur Fact Finding Mission. Während sich die symbolische Politik wenig bis nicht ändert, haben sich Inhalte, Anliegen und personelle Zusammensetzung der Initiativen sehr wohl verändert. Die Zurufe der Politik zu professionellem und sachlichem Arbeiten wurden produktiv aufgenommen. Nur die Zurufer selbst hielten sich nie daran, wie Finanzskandale in unterschiedlichen Bereichen zeigen. Dass aus Kreisen der Kulturpolitik neuerdings Kritik an der Bravheit und Angepasstheit der sogenannten „Freien Szene“ laut wird und SentimentalistInnen wieder die wilden 1980er beschwören, ist schlichtweg absurd. Als abschließende Botschaft an die Politik ein Textfragment aus dem frühen 21. Jahrhundert von damals schon reiferen Herren: Blumfeld, Diktatur der Angepassten: „Gebt endlich auf, ihr habt alles falsch gemacht. Gebt endlich auf, es ist vorbei…”
Didi Bruckmayr, 5.4.1966. Promovierter Ökonom, Performancekünstler, Musiker und Hilfsarbeiter. Mitglied der Folkloregruppe Fuckhead. Derzeit Lehrauftrag an der FH Salzburg.
Zuletzt geändert am 16.05.12, 00:00 Uhr
Kommentare werden von der Redaktion moderiert. Es kann daher etwas dauern, bis dein Kommentar hier erscheint. Wir behalten uns vor, diskriminierende oder diffamierende Kommentare, sowie solche, die straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, zu entfernen.