Liebe Grüße von Frau Leisch
von Tina Leisch ///
Sehr geehrte Damen, Herren und Transgender! Erinnern Sie sich noch daran, als unser Leben ein Fest war, wo alle Herzen sich öffneten und alle Weine flossen?
Wenn man uns nach unserer Nationalität fragte, antworteten wir: „Wir sind InternationalistInnen.“ Und wenn man wissen wollte, wo wir daheim seien, sagten wir: „Wir sind KosmopolitInnen.“ Oder: „Irgendwo zwischen Nazim Hikmet und Roque Dalton, zwischen Kafka und dem Popol Vuh.“
Menschen nach ihrer Herkunft voneinander zu unterscheiden, hätte man als Ausdruck reaktionärster Gesinnung weit von sich gewiesen. Man unterschied die Menschen danach, wo sie hinwollten: in Ausbeuter, die weiter ausbeuten, in Ausgebeutete, die weiter ausgebeutet werden und in Ausgebeutete, die der Ausbeutung ein Ende setzen wollten.
Dann erfanden die Rechten den „Ausländer“. Die Linken nannten ihn „MigrantIn“ und die Party war vorbei. Die Entdeckung der Migration als politisches Feld brachte Erkenntnisse über die Funktionen des staatlichen Rassismus, der die Leute ungleich macht vor dem Gesetz, und des Alltagsrassismus, der dafür sorgt, dass ein slawischer Akzent oder ein türkischer Nachname Wohnungen und Jobs versperrt.
Wir sahen ein, dass wir die Solidarität tatsächlich nicht „international“ also „zwischen Nationen“ üben, sondern zwischen Einzelnen, Vereinen, Initiativen, Bewegungen, die aus ganz verschiedenen Erfahrungswelten zusammenkommen. Wir lernten, dass die Mechanismen, mit denen Ausgebeutete dazu gebracht werden, ihrer Ausbeutung zuzustimmen, in anderen Kulturen manchmal an anderen Seelenhebeln ansetzen, und dass es viele Einfühlungen, Übersetzungen, Empathien braucht, wenn aus der Deklaration von Solidarität tatsächlich gemeinsame Kämpfe werden sollen.
Wir sahen, dass die nationalistische und die religiöse Überlegenheitsillusion offensichtlich ein universelles Instrument ist, mit dem Ausgebeutete dazu gebracht werden, sich für die Kränkung durch die Ausbeuter an Schwächeren, noch Ausgebeuteteren zu rächen, und dass es gefinkelte Strategien braucht um Menschen dazu zu bringen, gemeinsam über ethnische, kulturelle, religiöse Unterschiede hinweg für Rechte und Gerechtigkeit zu streiten.
Initiativen wie der Verein „maiz“ machten Unsichtbarkeiten sichtbar: Wir bemerkten auf einmal das Fehlen der Bilder und Geschichten der Neuzugewanderten in den Medien. Erst Goran Rebics „Jugofilm“, Kenan Kilics „Gurbet“ oder Nina Kusturicas „Little Alien“ brachten Flüchtlinge und Gastarbajteri ins Kino.
Die freien Radios waren die ersten Medien, bei denen die Vielfalt der Bevölkerung sich im Sendeschema und in den Redaktionen spiegelte, während der ORF bis heute nur „Heimat, fremde Heimat” und den Wiener Wetterfrosch diversifizierte. Nun fordern HistorikerInnen und MigrationsforscherInnen ein „Archiv der Migration“. Dokumente von und über MigrantInnen sollen zusammengeführt und aufgearbeitet werden.
Ein weiterer Schritt, um die Rede von der Migration zu enthysterisieren und Wanderungen als etwas Selbstverständliches zu begreifen. Vielleicht kann im Archiv der Migration dann auch der Begriff des/der „MigrantIn“ erfasst und abgelegt werden. Er hat seinen Dienst getan und richtet inzwischen mehr Unheil an, als er noch an Erkenntnis produziert.
Da es offensichtlich am bequemsten ist, binär zu denken, also die Erde in nur zwei Hälften zu teilen, auch wenn auf ihr sieben Kontinente schwimmen, gibt es oft nur noch „MigrantInnen“ und „MehrheitsbürgerInnen“. Ja, man entblödet sich nicht, eine moderne Form des Ariernachweises zu betreiben, in dem Menschen als „MigrantInnen der Zweiten oder Dritten Generation“ identifiziert und nur noch vor ihrem „Migrationshintergrund“ abgelichtet werden.
Vielen wurde die „MigrantIn“ zum Lieblingsobjekt ihres wohlmeinenden Engagements und der Rassismus zum Hauptwiderspruch. Einerseits ethnisiert man so soziale Konflikte. Probleme, die seit Jahrhunderten die Probleme der Entrechteten sind – ein Arbeiterkinder diskriminierendes Schulsystem z.B., oder die Kriminalisierung von Armut – werden zum „Integrationsproblem“. Andererseits toleriert man die reaktionärsten Haltungen, wenn sie von MigrantInnen geäußert werden, als schützenswerten Ausdruck ihrer kulturellen Differenz. Da demonstrieren z.B. lesbische Freidenkerinnen, die ihr Leben lang die katholische Kirche bekämpft haben, schon einmal für die Errichtung einer Moschee. In beiden Fällen ist man den Rechten auf den Leim gegangen, hat im Endeffekt zwischen Inländer und Ausländer und nicht zwischen Einzahler und Ausbeuter unterschieden.
Daher mein Vorschlag: Klassifizieren wir niemanden mehr als „MigrantIn“. Fragen wir statt: „Woher kommen Sie?“ lieber: „Wem nützt Ihre Arbeit?“ Oder „Wer verdient wie viel an Ihren Grundbedürfnissen?“ Oder überhaupt: „Biozweigelt, koscheren Cabernet oder Traubensaft halal?“
Vielleicht öffnen sich ja die Herzen und die Weine fließen wieder…
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Tina Leisch, Film-, Text- und Theaterarbeiterin, arbeitet derzeit an einem Dokumentarfilm über den salvadorianischen Dichter Roque Dalton, „Roque Dalton, erschießen wir die Nacht!”, der 2013 im Kino zu sehen sein wird. // Foto: CHINOLOPE
Zuletzt geändert am 22.10.12, 00:00 Uhr
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