Mehr Öffentlichkeit?!
Das Erscheinen der neuen KUPFzeitung unter dem Titel „MEHR“ nahm die Kulturplattform Oberösterreich zum Anlass für eine digitale Diskussion zu „Mehr Öffentlichkeit?!“ für Kunst und Kultur. Ich wurde eingeladen einen Impuls beizusteuern….
Mehr Öffentlichkeit?! Kulturelle Zumutungen anlässlich Corona.
Die Frage nach MEHR Öffentlichkeit zu stellen, bedeutet grundsätzlich mal die Frage nach Wachstum zu stellen.
Alles wächst
Wenn ich an Wachstum denke, fällt mir neben Kapitalismus Natur ein. Sie ist üppig nach dem Ende des Winters. Alles wächst und sprießt, Vielfalt entsteht. Nichts bleibt ungenützt. Es ist ein Miteinander, manchmal auch ein Gegeneinander.
Doch die Pflanzen rings um mich wachsen nicht ins Unendliche. Ein Baum wächst bis zu einer bestimmten Höhe. So wie auch Tier und Mensch, wird er nicht stetig höher. Wie der Baum weiß, wann er zu wachsen aufhören soll, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber der Baum- oder die Natur- weiß es offenbar. Genau diese Parameter muss die Politik für das wirtschaftliche Wachstum des Menschen festlegen. Wachstum braucht Begrenzung in einer Welt mit endlichen Ressourcen. Das ist ein natürliches Prinzip, über das sich der Mensch hinweg gesetzt hat und so den Planeten vernichtet.
Über das Zuviel
Es ist nicht einfach das richtige Maß des GENUG zu finden. Sich nicht überessen im Überfluss. Der Kaufsucht widerstehen. Der permanenten Ablenkung und Zudröhnung entgegen halten. Wir haben in Österreich von allem sehr viel. Nicht für alle, aber die meisten. Wenige haben noch viel mehr. Es gibt Länder, da haben sie von allem zu wenig. Wir schaffen den Ausgleich nicht. Im Gegenteil- das exponentielle Wachstum, auf dem unser Wirtschaftssystem beruht und das Streben des Menschen nach immer MEHR, spitzt die Spannungsfelder zusehends zu. VIEL Konsumgüter, Viel Müll, viel Lärm, viel Geschwindigkeit, viel Dreck, viel Information, viel Bewegung, viel Kommunikation, viel Essen, viel Trinken, viel Kultur- kann es ein ZUVIEL an Kunst und Kultur geben?
Wer oder was ist zuviel? Darauf gibt man vielleicht vorschnell eine höchst subjektive Antwort. Im Bereich des Radiomachens zum Beispiel: Sollen die Zugriffszahlen bzw. die Einschaltquoten darüber entscheiden wer und was gesendet und produziert wird? Hat ein Satz nur Berechtigung gesprochen zu werden, wenn er gehört wird? Oder ist es nicht gerade das Charakteristikum für Kunst und Kultur Dinge zu sagen oder zu erschaffen, weil sie gesagt oder erschaffen werden müssen? Andererseits ist ein Produzieren um des Produzieren Willen gerechtfertigt in einer Welt des Überflusses?
In den Freien, nicht kommerziellen Medien haben wir den Luxus uns nicht nach Einschaltquoten oder privatwirtschaftlichen Sponsoring richten zu müssen. Dieser Luxus hat das Präkariat im Gepäck. Es gibt immer weniger öffentliche Förderungen für immer mehr Arbeit. Trotzdem sind wir getrieben vom MEHR: mehr Kooperationen, mehr Projekte, mehr Verbreitung der Inhalte. Dieses MEHR führt unweigerlich zum WENIGER auf der Seite der persönlichen Ressourcen und des Stundenlohns letztendlich.
Über das Zuwenig
Um wieder zum anfänglichen Vergleich mit der Natur zurückzukehren. Wir leben in einer faszinierenden Umwelt von Kreisläufen und Ausgleich. Der Mensch stellt eine große Herausforderung dafür dar. Würden wir dieses natürliche System wirklich verstehen, wie könnten wir es auf unsere menschliche Existenz umlegen? Wie könnten wir das Wachstum fördern und es gleichzeitig begrenzen? Wie das Miteinander und die Vielfalt an erste Stelle bringen im Sinne eines Leben und Lebenlassens, auch wenn es in manchen Situationen und Bereichen ein Gegeneinander gibt, womöglich braucht?
Öffentlichkeit
Sind bedingungsloses Grundeinkommen und Fairpay bloß unrealistische Sozialromantik- oder doch grundlegende Elemente eines größer zu denkenden Plans, um die Menschen aus der kapitalistischen Wachstumssackgasse zu holen? Dafür braucht es jedenfalls eine starke Zivilgesellschaft. Diese lebt von der Öffentlichkeit.
Sie ist ein Kernelement von Demokratie – sie ist aber nicht automatisch ein Querschnitt der Meinungen und Wünsche des Volkes. Das Internet und mit ihm die Social Media haben den Öffentlichen Raum um ein Spielfeld erweitert. Ob sie zur Demokratisierung oder eher dessen Gegenteil beitragen hängt wieder von der Begrenzung – den Spielregeln ab, die es noch zu finden gilt. Jedenfalls ist es wichtig, möglichst viele verschiedenen Möglichkeiten des Austauschs untereinander zu bewahren und pflegen. Es braucht unterschiedliche Möglichkeiten und Anreize, die kommunikativen Blasen zu verlassen: ein möglichst vielfältiges Mediensystem von großen und kleinen Playern und allem dazwischen, eine lebendige Kunst- und Kulturszene. Und verstärkte zivilgesellschaftliche Einbindung in die Politik.
Noch eine Frage zum Schluss: Kann es ein Zuviel an Öffentlichkeit geben? Fest steht, dass es ein Zuwenig an Transparenz und Vielfalt geben kann.
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