Menschen wie du und ich!
von Markus Panholzer //
Mitte Mai füllten sich am Linzer Polizeisportplatz die Zelte. Asylwerber, für die Oberösterreich keine festen Unterkünfte bereitstellte, wurden vom Innenministerium in dieses Zeltlager verfrachtet und Medien berichteten sehr unterschiedlich darüber. Sehr schnell war klar, dass es bei dieser Form der Unterbringung am Notwendigsten mangelte. Eine Gruppe Freund*innen machte sich daher Anfang Juni auf, um Dinge, die offensichtlich fehlten, ins Lager zu bringen und sich selbst ein Bild zu verschaffen. Daraus entstand eine jener Hilfsgruppen für Flüchtlinge, wie es sie zu Hunderten in Österreich gibt. Eine jener Gruppen, die dem Versagen der politisch Verantwortlichen und der staatlichen Institutionen nicht mehr länger zusehen wollten. In Oberösterreich haben sich nun ehrenamtliche Helfer*innen und Menschen aus der professionellen Flüchtlingsbetreuung zur Plattform Solidarität zusammengeschlossen.
In einem am 2. Juni auf Facebook geposteten Bericht fassen vier der Aktivist*innen ihre Eindrücke des ersten Kontakts zusammen. Beispielhaft für hunderte Gruppen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, Auszüge aus diesem Bericht.
Mein Erlebnis im Flüchtlingslager Linz
Mit zwei gerammelt vollen Autos (Sammlung von nur einem Tag – danke Leute!) fuhren wir zum Flüchtlingslager am Polizeisportplatz. Die Angst, wir müssten das nun alles hinschleppen, wurde uns schnell genommen: Man kann mit dem Auto direkt zum Zeltlager fahren und wird dort freundlich von Sozialarbeiter*innen empfangen. Beim Anblick unserer vollen Kutschen wurden gleich Menschen mobilisiert, die uns beim Ausladen halfen. Danke, thank you – dankbar nickende Gesichter standen uns gegenüber und freuten sich über unseren Besuch und die mitgebrachten Sachen.
Durch die Zelte durften wir nicht spazieren, um den Bewohnern Privatsphäre zu geben. In Zelten mit je acht Personen ist das Wort Privatsphäre schon etwas zynisch, aber sei’s drum. Es war nicht unser Ziel, die Menschen anzugaffen, wir wollten einfach mit ihnen reden und hören, was sie brauchen und wie wir ihnen helfen können. Somit blieb uns nur übrig, mit den Menschen, die gerade nicht im Zelt waren, zu plaudern. Wir gesellten uns zu einer Gruppe junger Männer aus Somalia und mussten uns ziemlich zusammenreißen, da deren Englisch besser war als unseres – so fehlgeschaltet ist man selbst schon, dass man glaubt, die könnten nur mit Händen und Füßen reden. Die Saat der Hetzer und Hasser wirkt offensichtlich sogar schon bei mir.
Einer erzählte uns, er habe in der Nacht Hunger, denn am Nachmittag gäbe es nur zwei Scheiben Brot und ein Stück Käse, das müsse dann halten bis zum nächsten Tag in der Früh. Auf unsere Nachfrage bei den Sozialarbeiter*innen, ob man denn auch Essen oder Gaskocher vorbeibringen könne, hieß es: „Nein, das geht gar nicht. Wenn die alle zum Kochen anfangen und dann vielleicht auch noch grillen? Nein, das geht nicht!“ Aber Süßigkeiten, „so Wafferl-Zeigs und Schlecker, des geht scho!“
Plötzlich ein kleiner Aufruhr bei der Gruppe der jungen Somalier. Was ist los? Fünf Leute wurden aufgerufen – einer davon ein Freund aus der Gruppe – sie müssten ihr Zeug zusammenpacken, sie kämen woanders hin. Wohin? Leider keine Auskunft, auch nicht für die Betroffenen. Sie sollten einfach packen und würden dann wo hingebracht. Die ganze Fahrt über mit der Ungewissheit, wo es hingehe. Teils hoffnungsvoll mit der Aussicht auf eine bessere Unterkunft, teils traurig, weil er seine Freunde verlassen musste, machte sich der Aufgerufene auf, seine Sachen zu packen. Seine Freunde umarmten ihn und wünschten ihm alles Gute.
Die Sozialarbeiter*innen im Lager sind nicht zu beneiden. Zu dritt sind sie für mehr als 300 Menschen zuständig. Wir suchten das Gespräch mit einer Sozialarbeiterin und erkundigten uns, wie viel man von den Horrorgeschichten aus der Kronenzeitung glauben dürfe. Sie meinte: „Wenn ihr die genervte Sozialarbeiterin sucht, von der in der Krone die Rede war, das bin ich! Und ja, ich bin wirklich genervt, aber nicht von den Flüchtlingen, sondern von den Journalisten, die keinem Privatsphäre gönnen! 10% von dem, was in der Krone steht, kann man glauben, alles andere ist erfunden. Wisst ihr, da sitze ich in der Früh am Balkon, rauche meine Frühstückszigarette und freue mich auf den Arbeitstag, und dann lese ich diese Geschichten über mich selbst in der Zeitung. Das ist echt zum Verzweifeln.“
Die Bewohner der Zeltstadt haben weder eine Aufgabe im Lager, noch haben sie eine Aufgabe außerhalb des Lagers. Sie können nur herumsitzen und Daumen drehen. Ein junger Mann berichtet uns von seinem Versuch, Zigaretten am Automaten zu kaufen. Er habe zwar ausreichend Münzen beisammen gehabt, sei jedoch an der Identification Card gescheitert. Daraufhin habe er Leute auf der Straße angesprochen, ob sie ihm denn helfen könnten, den Automaten freizuschalten. „Rauchen is eh ungsund!“ bekam er zur Antwort, stand weiter mit Geld vorm Automaten und kam an keine Zigaretten. Als ich ihm eine Zigarette anbieten will, verneint er: „Danke nein, mittlerweile habe ich schon selber welche“ und zeigt mir stolz sein Päckchen Zigaretten.
Wir haben dann noch gefragt, ob wir ein Foto machen können. Mit dem Verweis, dass die Aufpasser es nicht sehen dürfen, haben wir dann welche gemacht, um zu zeigen, dass da im Lager keine Wilden sind, kein Gesindel, wie es der Volksmund so gern kundtut. Es sind Menschen wie du und ich, die eben gerade Hilfe brauchen. Hilfe in Form von Sachspenden, aber sehr wohl auch soziale Kontakte zu Menschen in Österreich.
Markus Panholzer lebt in Steyr und bezeichnet sich selbst als Good Mensch.
Zuletzt geändert am 08.09.15, 00:00 Uhr
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