Nach wie vor geht es um freie Meinungsäußerung
Ingo Leindecker bildet zusammen mit einer Hand voll Leuten Pulsschlag, Hirn und Herz des Cultural Broadcasting Archives. Das CBA ist ein physisch in Linz beheimatetes Audioarchiv, das derzeit von 24 freien Radiostationen bestückt wird. Das bisher versammelte Audiomaterial, das auch zum regen Austausch verwendet wird, reicht aus, um ca. zweieinhalb Jahre durchspielen zu können. Andi Wahl sprach mit Ingo Leindecker über den Wandel der Freien Radios und die Schwierigkeiten, auf die man stößt, wenn man Wissen allgemein zugänglich macht und kostenfrei zur Verfügung stellt.
FRO: Du bist seit über 10 Jahren Aktivist der Freien Radios und als solcher beschäftigst du dich auch mit den Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf die Radios. Eine Frage an den Aktivisten: Hat sich durch die Etablierung des Internets die Utopie der Freien Radios – dass jedeR frei ihre/seine Meinung veröffentlichen kann – nicht schon eingelöst? Heute posten Millionen Menschen im Netz und sind damit von reinen KonsumentInnen auch zu ProduzentInnen geworden.
Ingo: Hier muss man zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine ist der offene Zugang im Radio und Fernsehen und das andere ist die Demokratisierung des Zugangs durch das Internet. Die Freien Radios haben sich in den 1990er Jahren bemüht, einen offenen Zugang zum Medium Radio zu etablieren. Damals existierte noch das ORF-Monopol. 1998 gelang es dann, einen freien Zugang zu diesem Medium zu schaffen. Damals war die Autorität der alten Leitmedien – Print, Radio und TV – noch sehr hoch. Wir haben uns eine Stimme in einem sehr regulierten und reglementierten Bereich verschafft.
Neue Einschränkungen der Meinungsfreiheit
Eine andere Sphäre ist das Internet. Hier kam es zu einer starken Demokratisierung des Zugangs zu einem Massenmedium. Zudem ist eine immer stärkere Verschiebung aus den Bereichen der alten Leitmedien hin zum Netz zu beobachten. In dieser eigenen Sphäre des Netzes, in der die Menschen auch die Möglichkeit nutzen, sich zu äußern, kommt es aber zunehmend zu neuen Einschränkungen der Meinungsfreiheit.
Das Netz ist zwar weitgehend unreguliert, aber auch sehr marktdominiert. Gerade in letzter Zeit ist eine starke Monopolisierung von Öffentlichkeiten zu erkennen. Es hat zwar für viele nach wie vor den Anschein, als ob alles offen und frei sei, in Wahrheit gibt es aber Monopole wie Google, Facebook usw., die die großen medialen Öffentlichkeiten an sich reißen. Hier wird intensiv an einer Erweiterung und Absicherung der entstehenden Monopolstellungen gearbeitet. Etwa dadurch, dass Menschen, die etwa keinen Facebook-Account haben, zunehmend von wichtigen Informationen abgeschnitten sind. Wir haben es derzeit mit einer sich laufend verstärkenden Dominanz von wenigen Plattformanbietern zu tun. In jeder dieser beiden Sphären gelten eigene „Gesetze“. Der Rundfunk wird stark durch Behörden reguliert, während man das Netz dem Freien Markt überlässt, der zu Monopolstellungen einiger weniger führt.
FRO: Hat das auch Rückwirkungen auf die Radios?
Ingo: Natürlich! Was man sehr genau beobachten kann, ist eine sich verändernde Mediennutzung. Für ältere Semester, die mit den alten Medien aufgewachsen sind, stellen die Freien Radios immer noch ein starkes Informations- und Kommunikationsangebot dar. Jüngere Menschen haben – so möchte ich einmal behaupten – ein anderes Verständnis von Medien und interessieren sich für alte Medienmodelle wie den terrestrischen Rundfunk kaum noch. Hier stellt sich natürlich über kurz oder lang die Frage, wie lange der offene Zugang, wie er heute praktiziert wird, noch attraktiv sein kann. Ganz einfach, weil die Leute den offenen Zugang im Netz eher nutzen werden. Wichtig ist sich anzusehen, wo in der Netzsphäre Schranken errichtet werden oder bereits bestehen, die die freie Meinungsäußerung sowie die Meinungsvielfalt behindern. Hier bleibt der Auftrag der Freien Radios, sich um Demokratisierung von Meinungsäußerungen zu kümmern, weiter relevant. Nur eben in einer erweiterten Mediensphäre. Kein Freies Radio beschränkt sich heute auf das reine Radiomachen. Eine ganz wesentliche Frage dabei ist nach wie vor, wer über die Produktionsmittel verfügt. Sind das nach Gewinnmaximierung strebende Großkonzerne oder kleine, dem Gemeinwohl verpflichtete Einheiten, die unabhängige Infrastrukturen schaffen?
Kampf gegen diese rechtlichen Einschränkungen
Weitere Schwierigkeiten, mit denen wir derzeit zu kämpfen haben, sind die rechtlichen Einschränkungen, produzierte Inhalte auch im Netz zur Verfügung zu stellen. Das ist ein Beispiel, wie freie Meinungsäußerung im Netz behindert wird. Der Kampf gegen diese rechtlichen Einschränkungen ist derzeit ein Schwerpunkt unserer Tätigkeit. Hier gilt es, sich auch gegen das immer dreistere Auftreten jener zu wehren, die aus allen Inhalten und künstlerischen Leistungen möglichst viel Geld herausschlagen wollen. Als Freie Radios – mit dem oben erwähnten Demokratisierungswillen – müssen wir uns gegen diese Entwicklungen stemmen. Ganz klar und entschieden.
FRO: Die BetreiberInnen-Gruppe des CBA macht gemeinsam mit dem VFRÖ (Verband Freier Radios Österreich) eine Kampagne zur Durchsetzung der freien Wissensverteilung im Netz. Was sind die nächsten Schritte?
Ingo: Immer noch muss Bewusstsein in den eigenen Reihen geschaffen werden. Viele Freie Radios sind noch in alten Denkweisen verhaftet. Es geht darum, dass man die Netzsphäre als medienpolitisches Feld begreift, in dem man sich engagieren muss. Als ersten Schritt werden wir an der Beseitigung rechtlicher Einschränkungen arbeiten. Da geht es um das Zurverfügungstellungsrecht, die Verkürzung von Schutzfristen sowie das generelle Anliegen der Öffentlichkeit, auf Inhalte, die mit öffentlichen Geldern produziert wurden, auch wieder zugreifen zu dürfen. Es muss klar werden, dass gemeinnützige Interessen auf Wissen höher zu bewerten sind als monetäre Verwertungsinteressen Einzelner.
Zuletzt geändert am 22.10.12, 00:00 Uhr
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