Dr. Josef Ratzenböck_Quelle_Peter Pohn
Vordergründig - Hintergründig

“Nie wieder Krieg”-Zeitzeugengespräch mit Dr. Josef Ratzenböck

Josef Ratzenböck sollte als 16-Jähriger noch in die Schlacht. Im Zeitzeugengespräch berichtet der OÖ-Landeshauptmann a. D. über sein Leben im NS-Regime

„Ich kannte eine Familie, die sechs von zehn Buben verlor“

LINZ. Im Alter von nur 16 Jahren musste Landeshauptmann a. D. Dr. Josef Ratzenböck (91) im November 1944 ins Reichsarbeitsdienstlager, kurz RAD, in Ebelsberg einrücken. Das Akademische Gymnasium auf der Spittelwiese, hier ging Ratzenböck zur Schule, war zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Kriegswirren bereits geschlossen. Er hatte Glück und überlebte, einige seiner Schulkollegen verloren ihr Leben in den letzten Tagen des Krieges.

VON PETER POHN

Am 25. April 1945 ereignete sich der schwerste Bombenangriff auf Linz. Unter anderem waren es Jugendliche, die danach Aufräumungsarbeiten zu leisten hatten. Einer von ihnen: Der damals 16-jährige Josef Ratzenböck aus Neukirchen am Walde (Bez. Grieskirchen). Im OÖN-Interview spricht der frühere Landeshauptmann (1977-1995) über seinen Kriegseinsatz im Reichsarbeitsdienst.

Herr Dr. Ratzenböck, Sie mussten im November 1944 ins Reichsarbeitsdienstlager in Ebelsberg einrücken. Welche Erinnerung haben Sie an diese Zeit?

Josef Ratzenböck: Dort, wo die Autobahn den Ebelsberger Berg überquert, befand sich das Reichsarbeitsdienstlager. Hier brachten uns die Ausbilder bei, wie man mit dem Karabiner, dem Maschinen- oder Sturmgewehr oder der Panzerfaust schießt. Auch das Werfen von Eierhand- und Stielhandgranaten wurde geübt.

Gegen Kriegsende wurden die Bombenangriffe auf Linz immer massiver. Wie konnten Sie sich schützen?

Wir hatten keinen Luftschutzkeller. Deshalb mussten wir bei Fliegeralarm unter der Autobahn, die auf den Ebelsberger Berg führt, Schutz suchen. Da waren Unterführungen, in die wir uns hineinflüchteten. Nach einem Luftangriff war meistens die Straßenbahn nach Ebelsberg unterbrochen. Wir mussten dann in die Stadt marschieren und Aufräumungsarbeiten leisten, insbesondere im Gebiet der Altstadt oder am Hofberg.

Was würden Sie als ihr schlimmstes Kriegserlebnis bezeichnen?

Mit Sicherheit den letzten Bombenangriff auf Linz, am 25. April 1945. Ich war gerade mit einem Heeres-LKW aus dem RAD-Lager „Haibach“ in Linz unterwegs, als sich das Bombardement ereignete. Damals war es üblich, dass Bomberverbände von Italien kommend nach Regensburg weiterflogen. Dort haben sie sich geteilt. Ein Teil steuerte das Ruhrgebiet an, der andere Teil flog die Donau herunter und bombardierte Linz. Wir konnten uns mit dem LKW gerade noch auf einen Hügel in Leonding flüchten, wo wir unter Bäumen Schutz suchten. Ich bin als Wache eingeteilt worden und habe mich unter dem LKW verkrochen, um nicht verletzt zu werden.

Welche Flugrichtung nahmen die Bomberverbände?

Die Bomber sind über das Frankviertel und die Hermann-Göring-Werke, also der heutigen Voest, geflogen. Ich habe die gelegten Bombenteppiche und die Explosionen genau gesehen. Ebenso die Flugzeuge, die es in der Luft zerrissen hat. Ich habe gesehen, wie die Besatzung der Flieger abgesprungen ist, weiße Fallschirme sind aufgegangen und zu Boden geschwebt.

Wie gingen Sie mit Ängsten vor Bombenangriffen um?

Gewisse Ängste, die wir eigentlich hätten haben müssen, empfanden wir nicht. Das Anfliegen von Bomberverbänden war für uns etwas Selbstverständliches geworden und Bombardements so alltäglich, dass wir uns darüber nicht mehr aufgeregt haben. Manchmal, als wir noch Schüler waren, freuten wir uns sogar darüber. Zum Beispiel, wenn eine Lateinschularbeit zu schreiben war. Dann hofften wir, dass in der Früh noch ein Fliegeralarm wäre. Wenn das um fünf Uhr früh der Fall war, hat die Schule erst um 11h begonnen und die Schularbeit musste ausfallen. Wir wollten natürlich nicht, dass jemand einen Schaden erleidet, aber unsere unmittelbaren Interessen waren uns auch wichtig.

Zu Kriegsende gab es kaum Familien, die keine Todesopfer zu beklagen hatten. Wie wurden Eltern vom Tod ihrer eingerückten Söhne informiert?

Wenn wieder die Nachricht über einen Gefallenen eingetroffen war, verließ der Bürgermeister in seiner braunen Parteiuniform das Gemeindeamt. Die Anspannung bei den Leuten war dann groß, denn aus jedem Haus waren Buben eingerückt. „Wo geht er denn hin“, fragten sich die Leute.

Wie beurteilen Sie Totengedenken für die Soldaten?

Man darf die vielen Soldaten nicht vergessen, die in der Meinung gekämpft haben, das Vaterland verteidigen zu müssen. Bei einem Nachbarn in Neukirchen am Walde sind drei Buben gefallen, der Gustl, der Juli und der Otto. Wir haben immer nebeneinander gearbeitet, uns somit jeden Morgen gesehen, wenn wir das Gras heimgebracht haben. Auf der Ostseite unseres Grundes arbeitete ein Bauer, der vier Söhne verloren hat. Ich kannte alle gut. Ich erinnere mich auch an eine Familie, die sogar sechs von zehn Buben verlor.
Für die erste Trauerpate, die in der Zeitung erschienen ist, haben die Nazis noch folgenden Text verwendet: „In stolzer Trauer geben wir bekannt, dass unser Sohn für Führer und Vaterland gestorben ist.“ Und dann kennt man alle, die in stolzer Trauer starben, das war schrecklich.

Wie gehen Sie in ihrer Familie mit dem Thema „Zweiter Weltkrieg“ um?

Bis jetzt ist es uns gelungen, über diese Dinge zu reden. Meine Kinder und Enkel sind dafür sehr aufgeschlossen.

Zur Person:
Dr. Josef Ratzenböck (91), geboren in Neukirchen am Walde (Bez. Grieskirchen), kam im November 1944 als 16-jähriger Schüler zum Reichsarbeitsdienst in Ebelsberg. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er im Herbst 1945 seine Schullaufbahn im Akademischen Gymnasium auf der Spittelwiese fortsetzen. Danach studierte er Rechtswissenschaften an der Universität Wien und promovierte 1952. Ab 1953 war Dr. Ratzenböck in der ÖVP-Landesparteileitung tätig und bekleidete von 1977-1995 das Amt des Landeshauptmanns von Oberösterreich.

Zuletzt geändert am 07.05.20, 21:00 Uhr

Verfasst von Peter Pohn

zur Autorenseite
Gesendet am Fr 08. Mai 2020 / 11 Uhr