Noch ist Polen nicht verloren?*
Polen ist innerhalb eines Jahres in der weltweiten Rangliste der Pressefreiheit dramatisch abgestürzt. Hauptverantwortlich dafür ist ein neues Mediengesetz, das der Regierung einen verstärkten Zugriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ermöglicht.
Text: Dorota Trepczyk // Fotos: Slawek Sobczak
„Die Freiheit der Presse ist in unserer Zeit der letzte Hort der Freiheit. An dem Grad ihrer Unterdrückung, ihrer Verharmlosung oder Verspottung kann man deutlich ablesen, wie die Machthaber in verschiedenen Ländern zur Freiheit überhaupt stehen.“ – Milo Dor, Schriftsteller
Der polnischen Regierung ist die Pressefreiheit offenbar weit weniger wichtig als Milo Dor. Im Ranking von Reporter ohne Grenzen (RoG) liegt das Land mit Stand vom April 2016 nur mehr auf dem 47. Rang. Damit entfernt sich Polen weiter von seinen europäischen Partnern, im Spitzenfeld liegen zum Beispiel die skandinavischen Länder und auch Österreich steht trotz „mangelnder öffentlichen Transparenz“ immerhin noch an elfter Stelle. Besonders schlimm ist die Lage in der Türkei, die nach zahlreichen Verhaftungen von Journalist*innen, Überfällen auf Redaktionen, Zwangsverstaatlichungen und Mordanschlägen auf Medienaktivist*innen weit abgeschlagen auf Rang 151 liegt. Es besteht kein Zweifel: Die Pressefreiheit und damit auch das Informationsrecht der Bürger*innen ist weltweit unter Druck geraten. Die autoritären und autokratischen Regime in Staaten wie Ägypten, Russland und der Türkei sowie die nationalkonservativen Regierungen in EU-Staaten wie Polen oder Ungarn trachten danach, ihren Einfluss auf die Medienlandschaft weiter auszudehnen.
Zur Lage in Polen
In Polen erleben wir derzeit wieder eine Situation, wo die Politik der „besseren Sorte“ (so lautet die Bezeichnung für die Anhänger*innen der regierenden Partei PiS – Prawo i Sprawiedliwość, dt.: Recht und Gerechtigkeit) einen starken Einfluss auf die Medien ausübt. Das war nicht immer so, laut RoG machte Polen seit 2010 sogar Fortschritte und verbesserte sich im Ranking vom 37. Rang 2009 auf den 18. im Jahr 2015, bevor dann heuer der Absturz kam. Innerhalb von ein paar Monaten ist das Land um 29 Plätze gefallen. Der Grund: Polen hat ein neues Mediengesetz beschlossen – mit verheerenden Folgen.
Das umstrittene Mediengesetz
Am 8. Jänner 2016 trat das umstrittene Mediengesetz in Kraft. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und der Rundfunk, beide zuvor noch als staatliche Aktiengesellschaften organisiert, gerieten nun völlig unter die Kontrolle der Regierung. Schon bald sollen sie in nationale Kulturinstitute umgewandelt werden, damit sie sich nicht mehr um Wirtschaftlichkeit kümmern müssen, sondern sich voll auf den staatlich vorgegebenen „nationalen Auftrag“ konzentrieren können oder müssen. Mehrere leitende Redakteur*innen und kritische Journalist*innen des staatlichen Fernsehsender TVP (Telewizja Polska, dt. Polnisches Fernsehen), des Polnischen Radio (Polskie Radio), bei der Nachrichtenagentur PAP und bei 17 Regionalsendern wurden durch linientreue „Kader“ ersetzt.
Auf diese Art und Weise kommt die Regierung in der Berichterstattung des Senders uneingeschränkt zu Wort, die Kritik an PiS dagegen wird kurz gehalten. Auch über die Proteste gegen das neue Mediengesetz wird wenig berichtet oder die Berichte werden sogar manipuliert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Manipulation der Rede des US-Präsidenten Barack Obama, der im Juli auf dem Nato-Gipfel in Warschau war. Er forderte die Regierung zur Stärkung demokratischer Institutionen auf und äußerte sich kritisch über die Lage der Demokratie in Polen. Das polnische TV veränderte jedoch Obamas Rede und aus der Mahnung wurde plötzlich ein Lob.
Das ist aber noch nicht alles, was das neue Mediengesetz mit sich bringt. So sollen künftig die Medienvorstände direkt vom Kulturminister ernannt und abberufen werden können. Bei all diesen Maßnahmen geht es nicht nur um eine regierungstreue Linie in der Berichterstattung, sondern in weiterer Folge auch um eine „Repolonisierung“ der Medienunternehmen, die sich derzeit oft in deutscher und sonstiger Hand befinden. Mit dem neuen Mediengesetz möchte die regierende Partei für eine passende kulturelle und historische Bildung sorgen, die patriotische Haltung stärken und „angemessenes moralisches Benehmen“ verbreiten.
So wird zum Beispiel der tragische Flugzeugabsturz bei Smolensk am 10. April 2010, bei welchem Polens Staatspräsident Lech Kaczynski und seine Frau, zahlreiche Abgeordnete des Parlaments, Regierungsmitglieder und hochrangige Offiziere ums Leben kamen, als „Anschlag von Smolensk“ interpretiert und der Mythos einer Verschwörung mit dieser Wortwahl medial gepflegt.
Es gibt auch Widerstand
Die Maßnahmen werden aber längst nicht von allen Menschen in Polen mitgetragen. Tausende demonstrierten gegen das umstrittene Mediengesetz und forderten eine Rücknahme. Viele empfinden die Medienpolitik als Gefahr für die immer noch junge Demokratie und befürchten einen Rückfall in die Zeit der kommunistischen Diktatur. Das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (poln. Komitet Obrony Demokracji, KOD), das nach dem Regierungswechsel gegründet wurde, rief zum Boykott des Mediengesetzes auf. Auch auf europäischer Ebene wird das Gesetz scharf kritisiert. Das Europaparlament leitete noch im Jänner 2016 ein Rechtsstaatlichkeitsverfahren gegen Polen ein und droht mit finanziellen Strafen. Auch Journalist*innenverbände und die Vereinigung europäischer Rundfunkanstalten (EBU) äußern scharfe Kritik. Trotz allem beharrt die polnische Regierung auf dem Gesetz.
Wie Milo Dor treffend er-klärt hat: Die polnische Regierung schränkt nicht nur die Pressefreiheit ein, sondern gleichzeitig auch die allgemeine Freiheit jeder Bürgerin und jedes Bürgers. Wird vom Staat vorgegeben, welche Journalist*innen als Journalist*innen tätig sein dürfen, welche Formulierungen zu verwenden sind und welches mediale Bild Polens international gezeigt werden soll, wirft das das Land menschenrechtlich um Jahrzehnte zurück.
Dorota Trepczyk ist Programmkoordinatorin bei Radio FRO und gestaltet mit PoloNews eine sonntägliche Sendung über polnische Themen.
Zuletzt geändert am 14.12.16, 00:00 Uhr
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