Sehr geehrte Damen, Herren und Transgender,
von Tina Leisch //
Einst fragte man sich, wenn man eineN TürkIn kennenlernte: Ist's ein grauer Wolf oder eine PKKlerin? Wenn man jemand aus Spanien traf, fragte man sich: Franquist oder Republikanerin? Und ÖsterreicherInnen in Kolumbien konnten emigrierte Jüdinnen oder versteckte Nazis sein.
Natürlich gab es noch mehr Optionen – z. B. die Spanierin, die Hotels baute, um an deutschen Touristen zu verdienen, den Pipelineschweißer aus Eferding in Cúcuta und den türkischen Balletttänzer an der Staatsoper – aber starke Politisierung reduziert die Komplexität der Welt oft ähnlich wie starker Harndrang: es gibt dann nur noch zwei Möglichkeiten, für Männer oder für Frauen (selten gibt's noch eine nicht-gegenderte Behindertentoilette).
Es sind politische Herrschaftsstrukturen, die Menschen sortieren in diese und jene: EU-BürgerInnen oder Non-EU-Citizens bei der Einreise in Schwechat, bei der Versendung von Wahlkarten, bei der rassistischen Polizeikontrolle. Es sind aber auch die kämpferischen Bewegungen, die Florence Reeces Frage stellen: „Which side are you on, boy?“
Unterdrückt, entfremdet, benachteiligt und ausgebeutet zu werden ist eines. Sich als Unterdrückte und Ausgebeutete zu begreifen das Nächste: es ist der erste, schmerzhafte, weil den eigenen Narzissmus kränkende, Schritt zu Empowerment, Organisierung, Interessenvertretung, Klassenkampf.
Wo die Kämpfe sich verschärfen, entlarvt sich der vermeintlich neutrale Ort in der Mitte als Hologramm, mit dem die wenigen Herrschenden den vielen Beherrschten die Illusion einer Welt vorgaukeln, in der nicht das Erkämpfen von gerechten Verhältnissen, sondern sozialer Aufstieg durch Lotteriegewinn oder Castingshow die vernünftige Option ist.
Wo die Kämpfe sich verschärfen, wird das Hologramm zerschlagen und die narzisstische Kränkung, sich selber auf der Seite der Unterdrückten verorten zu müssen, wird annehmbar, weil sie schnell aufgehoben wird im heroischen Selbstbild der RevolutionärIn.
Nachdem dann die Revolution gewonnen oder verloren wurde, kehrt die Kämpferin in den Beruf zurück, in den Alltag, und plötzlich zerfällt die zweigeteilte Welt wieder in viele Aspekte. Wo es gestern nur Verbündete und FeindInnen gab, geht man wieder mit ganz anders Denkenden Wein trinken oder Fussball spielen. Man entdeckt in der Konfrontation vergessene Wege des Begehrens und oft auch andere Feinde als den soeben besiegten. Die eben noch gebildete Front vergisst sich selbst und zerfällt in Einzelne und Subkulturen, die sich in ihren Widersprüchen und Gegensätzen entfalten.
Das Wiener Refugee Protest Camp, das 2012 und 2013 mit dem Marsch aus Traiskirchen nach Wien und der Besetzung der Votivkirche dem Kampf um die Anerkennung der Menschenrechte viel Gehör verschaffte und sich damit nicht nur im Innenministerium FeindInnen machte, hat eine Schlacht gewonnen: Die acht von Kronen Zeitung und Innenministerium als „Millionenschwere Schlepperbosse“ verleumdeten Votivkirchen-Flüchtlinge sind alle aus der U-Haft entlassen worden. Die Verhaftung der Männer war tatsächlich nichts als ein heimtückischer Versuch der Zerschlagung des Protestes. Noch ist der Prozess in Wiener Neustadt nicht zu Ende, aber die Beweislage ist so dürftig, die Anschuldigungen so geringfügig, dass kein Anlass besteht, die Verdächtigen weiterhin in U-Haft zu halten. Und, was vielleicht noch wichtiger ist: Die Kriminalisierung humanitärer Hilfe für Menschen auf der Flucht als „Schlepperei“ wird mehr und mehr als Gesetz gewordene Unmenschlichkeit erkannt und skandalisiert.
Nach den heißen Zeiten des Kampfes ist nun also Zeit, andere Dinge zu entdecken. Einige der Flüchtlinge haben gemeinsam ein Haus gemietet, um selbstbestimmt und selbstverwaltet zu leben. Einige sind anerkannt worden oder haben zumindest subsidiären Schutz erhalten. Viele haben zumindest ehrenamtliche Beschäftigungen gefunden. Es ist aber auch endlich Zeit dafür, die interkulturellen Konflikte innerhalb der gemeinsam Kämpfenden zu besprechen.
In der kalten Votivkirche froren Schwule, Lesben und aus religiösen Gründen Homophobe, AtheistInnen, Juden, Christinnen und strenggläubige Muslime gemeinsam. Nun prallen Weltanschauungen und Lebensentwürfe derer, die gestern geeint gegen den gemeinsamen Feind Hand in Hand auf den Demos liefen, aufeinander. Nun erprobt sich, wie viel Differenz diese Liebe, jene Freundschaft aushält. Ist eine atheistische Feministin automatisch eine Rassistin, wenn sie die Vergöttlichung männlicher Herrschaft durch die monotheistischen Weltreligionen nicht nur im Christentum, sondern auch im Islam verspottet? Ist jeder automatisch ein Terrorist, der in die salafistische Moschee zum Freitagsgebet geht? Welche Vorurteile und welche Denkverbote ziehen da untergründig oder auch ganz offen durch Beziehungen und Kommunikationen?
Der syrisch-kurdische Autor Ibrahim Amir hat mit einigen der Flüchtlinge und einigen der SupporterInnen ein Theaterstück geschrieben, in dem genau dieses Kaleidoskop der Ängste und Missverständnisse zum Thema gemacht wird. Sandra Selimovic und Natalie Assmann sind gerade dabei, es zu inszenieren. Im September wird es aufgeführt und Radio FRO wird berichten.
//
Tina Leisch ist Film-, Text- und Theaterarbeiterin. Im März präsentierte sie ihren neuen Dokumentarfilm „Roque Dalton, erschießen wir die Nacht!“ beim Radio FRO Freundeskreis in Linz.
Zuletzt geändert am 29.04.14, 00:00 Uhr
Kommentare werden von der Redaktion moderiert. Es kann daher etwas dauern, bis dein Kommentar hier erscheint. Wir behalten uns vor, diskriminierende oder diffamierende Kommentare, sowie solche, die straf- oder zivilrechtliche Normen verletzen, zu entfernen.