Tom auf dem Lande – Dernière* in den Kammerspielen
Podiumsgespräch zum Stück "Tom auf dem Lande" mit Dramaturgin Wiebke Melle, Michael Müller, Vereinssprecher der HOSI Linz, und Regisseurin Sara Ostertag.
Ein Nachbericht von Eva Steinmayr.
Seit dem 24.02.2024 wurde Tom auf dem Lande elf Mal aufgeführt, am 14.06. kam das Stück zu seinem abschließenden Höhepunkt. In den bis auf wenige Plätze ausverkauften Kammerspielen wurden die Schauspieler vom Publikum mit Standing Ovations gefeiert. Die Schauspieler – nicht die Schauspieler:innen, denn die Regisseurin Sara Ostertag hatte alle Rollen bewusst ausschließlich männlich besetzt, auch die Rolle der trauernden Mutter und der angeblichen Freundin des Verstorbenen.
Dramaturgin Wiebke Melle über das rein männliche Ensemble
Aber von Anfang an: In Tom auf dem Lande fährt der junge Mann Tom aufs Land; wo genau das ist erfährt man nicht, diese Ungenauigkeit zeigt, dass die Geschichte ‚auf jedem Land‘ geschehen kann und so oder ähnlich auch geschieht, wie der Podiumsgast Michael Müller, Vereinssprecher der HOSI Linz, später noch erzählen wird.
Auf dem Land soll Toms verstorbener Lebenspartner beerdigt werden. Angekommen in der Pampa muss Tom feststellen, dass er für die Hinterbliebenen zumindest in seiner Rolle als Lebenspartner ein Unbekannter ist, und auch die sexuelle Orientierung des Verstorbenen unbekannt scheint. So soll dies auch bleiben, und unter dem Einfluss des buchstäblich übriggebliebenen Bruders findet sich Tom schnell in einer Spirale aus Homophobie, Lügen sowie mentaler und psychischer Gewalt, der er sich nicht entziehen kann, aber auch nicht will.
Wie drastisch diese Spirale ist, durch welche Tom schließlich beinahe gebrochen wird, zeigt die Regisseurin durch den fast dauerhaft anwesenden Guillaume: Der Verstorbene. Guillaume „geistert“ durch die Szenen: In Toms Kopf, als Toms Gegenüber, als Teil der Lügen, als Teil des Trosts und als Teil der Gewalt.
Sara Ostertag über die Rolle des Guillaume und das Spüren der Anwesenheit von Abwesendem
Verstärkt wird dieser Tanz in mehreren Realitäten durch Musik-Artist Ariel Oehl. Von Ariel wird am Synthesizer eine Soundwelt erschaffen, die „viel von den verhandelten Gefühlen und dem Schmerz und den Verletzungen über die Musik trägt“, so Ostertag.
Im Anschluss an die Aufführung bleiben noch viele Gäst:innen zum Podiumsgespräch, wo Dramaturgin Wiebke Melle mit Michael Müller, dem Vereinssprecher der HOSI Linz, und Sara Ostertag, der Regisseurin, die Kunst des Stücks sowie seine politischen Hintergründe im Kontext des PRIDE-Month beleuchtet.
Im Unterschied zu Toms Lebensrealität und der Zeit in der der 32-jährige Podiumsgast Müller aufgewachsen war, seien junge queere Menschen heute teilweise mit einem gewissen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen ausgestattet, weil LGBTQ* thematisiert und abgebildet werde. Eine große Rolle spiele hier der digitale Raum, jedoch auch Kunst und Film wie Netflix, so Michael Müller. Politisch gebe es in Sachen Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze jedoch noch viel zu tun. Finanzielle Unterstützung ist – neben bloßen Lippenbekenntnissen – das, was sich LGBTQ*- Supportstrukturen von der Politik am dringendsten wünschen.
HOSI Vereinssprecher Michael Müller über Politik und ihren Opportunismus zu LGBTQ*
Und auch in einer laut Müller futuristisch-utopischen Gesellschaft, in der in Sachen Gleichstellung alles erreicht ist, wird es noch Menschen geben, die die HOSI als Verein, als Beratungsstelle, als Auffangnetz brauchen: Dafür ist die HOSI Linz da.
Das gesamte Podiumsgespräch findet ihr hier: Tom auf dem Lande – Dernière in den Kammerspielen
Das Interview zur Premiere mit der Regisseurin Sara Ostertag findet ihr hier zum Nachhören.
*Dernière: Während die Premiere die Erstaufführung eines Theaterstücks beschreibt, ist die Dernière die letzte Aufführung in einem Aufführungszyklus
Zuletzt geändert am 15.07.24, 08:36 Uhr
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